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A

A [von Lilli Lehmann] - Der Vokal A aus früheren Zeiten. - Es wird gar viel darüber gestritten, ob a, u oder andere Vokale zur allgemeinen Übung besser seien. Früher studierte man einzig auf dem Vokal a. Die alten Italiener lehrten so, meine Mutter wurde so unterrichtet und ließ auch ihre Schüler niemals andere Vokale auf die erstmonatlichen Übungen singen. Später freilich wurde jeder Buchstabe, jedes Wort so oft ausgebessert und wiederholt, bis er richtig war und sich dem Gedächtnis sowohl als dem Gehör des Lernenden für ewige Zeiten eingeprägt hatte.

Ich erkläre mir die Sache so:

Der Mund des Sängers soll stets einen angenehmen Eindruck machen. Ewig grinsende Gesichter oder Fischmäuler sind beide abscheulich und falsch.

Die freundliche Mundstellung bedingt schon die Muskelkontraktion des hellen Vokals, a rechnet zu ihnen.

Die meisten Menschen, die nicht gewöhnt sind, ihre Resonanzmittel zu verwerten, sprechen a ganz flach, als wär's der zuunterst liegende Vokal. Wird er auch mit der den hellen Vokalen eigenen Mundstellung gesprochen, so hat er seine Resonanzansprüche beim Sprechen sowohl als beim Singen, bei den dunklen Vokalen am hochgewölbten Gaumen zu suchen, und muss sich, um das zu ermöglichen, mit o und u mischen, nur dass noch besonders darauf zu achten ist, dass der Zungenrücken nicht fällt, sondern hoch stehen bleibt wie bei e. Auf diese Weise kommt a zwischen uo-i-aje zu liegen und bildet gleichsam die Verbindung zwischen hell und dunkel und umgekehrt.

So ist es wohl gerechtfertigt, dass a als Studiumsvokal den Vorzug hatte, sobald er, richtig zwischen beide Extreme gestellt, allen Anforderungen genügte. Er ist der schwerste Vokal. Gut gesprochen resp. gesungen, verbindet er die notwendige Muskelkontraktion mit der gefälligen Mundstellung und sichert die edle Klangfarbe durch seine Verbindung mit u und o. Ist a auf allen Lagen gleichmäßig gut ausgebildet, ist auch die Hauptschwierigkeit überwunden.

Für diejenigen aber, die einen schlechten Unterricht genossen oder unterwegs auf falsche Wege gerieten, ist es besser, mit e und i anzufangen, dann erst u und o und zuletzt erst mit den anderen Vokalen verbunden das a zu versuchen. Aber keines von allen ohne den Zwischenhalbvokal j, der sie alle verbindet, also verbinden lehrt. Dann sollen sie die vorher angegebene Vokalübung mit jejija usw. machen, langsam aufmerksam sich selber hörend. Der Erfolg kann nicht ausbleiben, es ist ein sicheres Mittel zur Besserung.

Der gut singende Italiener spricht und singt den Vokal a nicht anders als gemischt, und nur die Nichtachtung dieser Mischung konnte die Dekadenz des italienischen Gesangunterrichts zuwege bringen. Auch in Deutschland wird nicht darauf geachtet. Das von den meisten jetzt lebenden Italienern oft ganz flach gesungene a, dem sich kein anderer Vokal anreihen resp. verbinden kann, auch alle Stimmverbindung unmöglich macht und ganz böse Register zeitigt, ganz tief im Halse liegend, gar keinen Anspruch an Gaumenresonanz erhebt, klingt gemein, sogar beleidigend. Die Kontraktionsfähigkeit der Sprechmuskel ist nicht nur ungenügend, sondern verführt noch zum Druck der Halsmuskeln, die ihm auf die Dauer nicht gewachsen sind und ein Weiterschreiten unmöglich machen. Mit der Zeit wird der Ton auf den Übergängen zu tief. Das leidige Tremolo ist fast immer die Folge dieser Gesangsmanier.

Man versuche die Tonleiter nach der Höhe hinauf auf a zu singen, Zunge und Sprechmuskeln unterwegs nach e zu stellen, und man wird ob der angenehmen Wirkung erstaunt sein. Selbst der Gedanke allein genügt oft schon, weil die Zunge , willkürlich die Stellung von selbst annimmt.

Ich erinnere mich genau, Frau Désiré Artôt-Padillha, die eine tiefe Mezzosopranstimme hatte, in früheren Jahren große Koloraturkunststücke herauf- und herunterschleifte, mit dem Vokal a anfing und dann auf e, i i e ü oa auf- und abstieg. Damals begriff ich nicht warum, jetzt weiß ich's ganz genau: weil es ihr leichter wurde. Es wird der Atem gegen die Kopfhöhlen getrieben, die Kopfstimme in Aktion gesetzt.

Hinter der e-Stellung muss nun soviel Platz geschaffen werden, als man für alle Vokale braucht mit denjenigen Modifikationen, die ein jeder für sich beansprucht. Es handelt sich hauptsächlich um die Zungenstellung im Halse, dass sie dem Kehlkopf, der ungeniert seine, wenn auch minimalen auf- und absteigenden Bewegungen ausführen muss, nicht im Wege sei.

Alle Vokale müssen ineinander fließen. Man muss ohne merkliche Veränderung von einem Vokal zum andern übergehend wieder zurückgehen können.

Wie leicht hat es der Italiener, der von Natur durch seine Muttersprache schon alles mitbekommt, was andere jahrelang sich erarbeiten müssen. Eine einzige Silbe verbindet oft 3 Vokale ineinander, z.B. tuoi tuoij miei, mjieji, muoja usw.

Der Italiener mischt alle seine Vokale. Er reibt und färbt sie an- und untereinander. Darauf baut sich ein großes Stück Leben der Gesangskunst auf, die in jeder Sprache, abgesehen von deren besonderen Eigenheiten, ausgeübt werden muss.

Um nur ein einziges Beispiel der deutschen Wortschwierigkeit und der ewigen konsonantenendigenden Silben zu geben, dazu diene das Auftrittsrezitativ der Norma.

Wer lässt hier Aufruhrstimmen, Kriegsruf ertönen, wollt Ihr die Götter zwingen, Eurem Wahnwitz zu frönen? Wer wagt vermessen, gleich der Prophetin der Zukunft Nacht zu lichten, wollt Ihr der Götter Plan vorschnell vernichten? Nicht Menschenkräfte können die Wirren dieses Landes schlichten. - Zwölf Endungen auf n! -

Sediziose voci, voci di guerra, avoi chi alzar si attenta presso all' ara del Dio! V'ha chi presume dettar responsi alla vegente Norma, e di Roma afrettar il fato arcano. Ei non dipende, no, non dipende da potere umano! -

Vom Italiener können wir die Verbindung der Vokale untereinander, vom Franzosen das Nasale lernen. Der Deutsche geht mit seinem Ausdrucksvermögen den anderen voran. Wer sich aber berechtigterweise Künstler nennen will, muss alle vereinigen. Den bel canto, d.h. den schönen - ich will sagen: den gebundenen Gesang und allen Ausdruck, dessen wir gebildeten Menschen bedürfen, um Meisterwerke großer Geister zu interpretieren, die dem Publikum einen beglückenden Genuss bereiten sollen.

Ein lebendiger Ton ist auf die Muskelspannungen aller Stimmorgane, auf die technisch vollkommene Aussprache sowie auf die dazu gehörige Tonfärbung angewiesen, ohne welche kein seelischer Aus- noch Eindruck zu erreichen ist.

Der Kehlkopf muss unbehindert von der Zunge auf- und absteigen, Gaumensegel sich heben und senken, der weiche Gaumen sich mehr oder weniger an den harten anschmiegen können. Starke elastische Kontraktionen bedingen sehr weiche vorsichtige Auflösung derselben.

Das Gefühl der Längsdehnung des Halses, das ich verspüre, geht von der sehr starken, doch sehr elastischen Kontraktion meiner Muskeln aus, die, in fortwährender Auflösbarkeit begriffen, mir wie biegsamer Stahl erscheinen, denen ich - weil nie zu viel - alles bieten kann, und die ich täglich übe. Selbst in den Zwischenakten großer Opern nehme ich solche Übungen vor, die mich erfrischen statt zu ermüden.

Das ungezwungene Zusammenwirken aller Organe sowie jede einzelne Funktion für sich, hat elastisch ohne jedweden Druck oder Krampf vor sich zu gehen. Kräftig und dennoch schmiegsam ineinander gefügt müssen sie funktionieren, damit der Atem, der den Ton hervorbringt, indem er durch die mannigfaltigsten, sehr komplizierten Organe hindurch (Morgagnischen Taschen z.B.), wieder an anderen vorbeistreicht, sich an andern stützend, in noch anderen fangend ausbreiten kann, alles dermaßen vorbereitet findet, wie er es in jeder Lage für jeden Ton zu beanspruchen hat. Alles muss sich, zur Gewohnheit werdend, vereinen.

Durch die richtige Atemverzweigung und Resonanzverbindung werden die Stimmen ausgeglichen.

Durch die richtige Mischung der Vokale die Töne gefärbt.

U, o, a verlangen mehr Gaumenresonanz und tiefere Kehlkopfstellung.

E, i mehr Kopfhöhlenresonanz und erhöhte Kehlkopfstellung.

Bei u, o, ü, a ist der Gaumen höher gewölbt (die Zunge macht eine Rinne) als bei e, i, wo die Zunge hoch liegt.

Es gibt Sänger, die den Kehlkopf zu tief stellen, zu viel nach u singen, den Gaumen zu hoch wölben. Deren Stimmen sehr dunkel, sogar hohl klingen, denen die Zwischenstellung des Kehlkopfs mit e fehlt.

Umgekehrt gibt es solche, die ihn zu hoch drücken, deren e-Stellung eine permanente ist. Diese kennzeichnen sich durch einen sehr hellen, scharfen, manchmal ziegenartig gemeinen oder meckrigen Klang.

Beides ist gleich falsch und hässlich. Das rechte Maß nach beiden Seiten hin muss das feingebildete Ohr geben und der vom Meister durch Beispiele an sich selbst und anderen geläuterte Geschmack.

Wollen wir Wort und Ton veredeln, haben wir, falls es nicht schon u ist, den darin enthaltenen Vokal mit o oder u zu mischen. Will man dem Wort einen freundlichen Ausdruck geben, mischt man mit a, e und i. Es heißt alle Resonanzklänge ausnützen und daraus Farben zu schaffen, die dem Ton resp. Wort und Ausdruck zugute kommen.

Ein einzelner Ton kann dadurch gar verschiedenartig genommen oder gesungen werden. In jeder gemischten Verbindung muss er sich dem jeweiligen Ausdruck gemäß also verändern können. Sobald es sich aber um eine musikalische Phrase handelt, worin mehrere Töne und Worte oder erstere allein verbunden sind, bleibt das Gesetz der Fortschreitung aufrechterhalten, der Ausdruck muss der Schönheit des musikalischen Gesetzes teilweise wenigstens zum Opfer fallen.

Wer geschickt ist, kann aber selbst in die oberflächlichsten Phrasen und Koloraturen einen gewissen Gefühlsausdruck legen. So habe ich in die Koloraturen von Mozartarien immer durch crescendis, auffallendes Atmen, Abbrechen desselben etwas Ausdruck zu gewinnen gesucht, was mir besonders in der „Entführung" gut gelang, ein Wehklagen in der ersten Arie, einen Heroismus in der zweiten auf die Koloraturen zu Wege gebracht. Ohne zu tüfteln, heißt es alle nötigen Ausdrucksweisen auszubeuten, wozu ein Künstler wohl berechtigt ist.

 

Alkohol (1) [von Leopold Mozart] [Vogler] wird im Rausch diesen Narrenstreich gemacht haben, so wie er in Kassel bei dem Marquis NB den Intendant der Musique nach der Tafel sich verloren, und man ihn hinnach besoffen in der Marquisin Bette ganz ausgezogen gefunden, wo er sich hinein schlafen gelegt und es voll angeschissen und gespieen.

(2) [von Leopold Mozart] Dass Herr Strobler die Sonaten vergessen, wo er sie hingetan, ist kein Wunder, denn ohne Rausch ist er sicher nicht schlafen gegangen.

(3) [von Richard Wagner] Mein Harfenspieler geriet in leidenschaftliche Lustigkeit: es wurde viel Czernoseker-Wein getrunken; er sang und spielte auf seiner Harfe wie rasend, schwor in einem fort sein "non plus ultra", und sank endlich berauscht auf das für uns alle im Wirtzimmer aufgeworfene Strohlager. Als die Sonne hereinschien, war er nicht zu erwecken.

(4) [von Richard Wagner] Mit ihm und andren Freunden machte ich oft Ausflüge in die Umgebung, wobei es in bayerischem Bier und fränkischem Wein lustig herging. Der "letzte Hieb", ein auf anmutiger Höhe gelegener öffentlicher Biergarten, war fast allabendlich Zeuge meiner wilden, oft enthusiastischen Lustigkeit und Ausgelassenheit: nie kehrte ich in den warmen Sommernächten von dort zu meinen drei Pflegekindern zurück, ohne über Welt und Kunst in sonderbare Ekstase geraten zu sein.

(5) [von Richard Wagner] Jetzt galt es mit dem Kapellmeister Stegmayer mich über die Partitur genau zu verständigen. Im Weinkeller glückte uns das Verständnis überraschend schnell; sobald wir uns jedoch ans Klavier setzten, hatte ich die sonderbarsten Einwendungen anzuhören, über deren Tendenz ich mir lange unklar blieb.

 

Alter (1) [von Leopold Mozart] Es wird die Oper "Der Italiener in London" (l'Italiano in Londra) aufgeführt werden. Die zwei Sängerinnen sind 2 unschuldige junge Mädl von 13 und etwa 14 oder 15 Jahren. Sie sollen sauber singen.

(2) [von Leopold Mozart] Ich wünschte, dass er wenigstens nur 3 Jahre schon alt wäre, so natürlich meine ich, er sollte gleich [Clavier] spielen können.

(3) Die Ansicht, Knaben sollten vor dem Stimmbruch keinen Gesang studieren, ist angesichts der geschichtlichen Hintergründe nicht weiter zu kommentieren. Sie entbehrt jeder Grundlage und lässt sich möglicherweise nur durch die naturgemäß schlechten Erfahrungen schlechter Lehrer erklären.

(4) Wichtig ist es, Kinder bereits deutlich vor dem 4. Lebensjahr darin zu unterrichten, einfache Melodien richtig nachzusingen. Der methodische Unterricht kann ab dem 4. Lebensjahr beginnen. Dies war Gesangspädagogen aus der großen Schule von Bologna bereits vor Jahrhunderten bekannt (sh. z.B. Oskar Bormann, Johann Nepomuk Schelble, Diss., 1926, S. 51). Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Berichte aus Japan, wonach Kindern bereits im Mutterleib gezielt Musik vorgespielt wird, um das Wachstum der Gehirnstrukturen zu beeinflussen.

 

Anders, Peter [von Maximilian Hörberg 12.09.2008] Der Tenor Peter Anders wurde ausgebildet von Ernst Grenzebach (Lehrer u.a. von Alexander Kipnis, Max Lorenz und Lauritz Melchior) und Lula Mysz-Gmeiner. Letzere geht über Etelka Gerster auf Mathilde Marchesi zurück und somit auf Manuel Garcia d.J. (Schule von Neapel: Aprile/Anzani). Ernst Grenzebach geht über Alexander Heinemann, Jenny Meyer, Julius Stern und Miksch auf die berühmte Schule des Bernacchi von Bologna zurück. Peter Anders starb durch einen Autounfall.

 

Ansatz [von Lilli Lehmann] Beim Tonansatz muss der Atem ein Zentrum am Gaumen treffen, das unterhalb der Tonhöhe liegt, Kraft und Tiefe miteinander vereint und nun in so stark konzentrierter Organstellung mit Energie klangbar gemacht wird.

Dazu bedarf es der Kenntnis aller Vokalfunktionen und des wohlgeübten Ohres für vollkommene Gesangsvokale. Nicht wie sie jedem durch seine unkontrollierte Sprache etwa geläufig sind, sondern wie sie edle Gesangskunst erfordert.

Wenn Lehrer bei Beginn des Unterrichts von ihren Schülern rein klingende Vokale verlangen, so bringt die Forderung große Mißverständnisse - wenn nicht gar üble Schäden mit sich, da reine Vokale, wie sie der Tonkunst angemessen sind, von Anfängern - falls sie nicht besonders begnadet wären - gar nicht gebracht werden können.

Der reine Gesangs- oder Tonvokal ist im üblichen Begriff gemeinen Sprachsinns gar nicht einfach rein, sondern durch die zum Gesang notwendige Tonform sogar recht kompliziert. Er wird noch komplizierter durch die verschiedenen Klangfarben, die er je nach Stimmlage, Tonhöhe, Intervall, Silben- und Wortverbindung, Sprachgebrauch oder Tonkunst anzunehmen gezwungen wird. Man kann 20 verschieden klingende i, e, a, o, u singen, die an und für sich gemischt, im Worte dennoch verständlich und rein klingen. Die Organstellung hat sich dem Sprachgebrauch und der Gesangskunst gleichzeitig anzupassen, um das Schönste und Edelste zu erstreben.

Man muss damit anfangen, Schülern während des Singens die Tonform zu erklären; wie sie auf dem einzelnen Vokal durch Hinzuziehen anderer Vokale entsteht, indem man sie beim Vokalisieren auf die Mitarbeit der verschiedenen Vokale in jedem Ton aufmerksam macht. Sie müssen lernen einen Vokal mit dem andern durch den Halbvokal j zu verbinden. Dann lehrt man sie 2-3 zusammenzustellen und nach und nach so auszusprechen, wie es sich künstlerisch ziemt. Nur in der geschickten Verbindung mehrerer Vokalformen zueinander kann ein vollkommener Ton und nur in diesem wieder gut klingende, weit tragende Vokale entstehen und ausgesprochen werden. In der Erkenntnis der komplizierten Zusammenstellung mehrerer Vokalformen zu einer einzigen liegt das ganze Geheimnis des richtigen Ansatzes, dessen Fassung und Grundpfeiler wir uns jetzt näher ansehen wollen.

Hat man sich für die physiologischen Vorgänge der Stimmorgane Vokale eine Tabelle zurechtgelegt und sich gewöhnt in Vokalen musikalisch zu denken, so ist's nicht schwer, die richtigen Stellungen für den Ansatz zusammenzufassen, vorausgesetzt, dass man sich die einzelnen Funktionen durch Übung bereits zu eigen gemacht hat.

Vor allem streiche man den im gewöhnlichen Sinne rein genannten Vokal a - da er die Wurzel alles Übels ist - sowie den Begriff des einzigen Tonklangs gänzlich aus seinem Gedächtnis. Wenn der Vokal a in vielfach zusammengestellter Fassung auch als a erklingt, hat er in seinen Grundzügen durch die der Tonform notwendige Vokalmischung doch nichts mehr mit dem gewohnten Sprechvokal a gemein. Unsere musikalische Tabelle setzt sich für den Vokal a und für den Ansatz folgendermaßen zusammen:

Vokal I = Tonhöhe, Klangträger. Kopfstimme.

Vokal E = Kraft, Helligkeit. Stellvokal. Notenlinie, d. h. Tonlinie, auf der wir singen.

Vokal U = Tontiefe, Weichheit, Deckung, Wohlklang, Brustresonanz.

Diese drei Vokale in geeigneter Mischung konzentriert zusammen angeschlagen geben den Vokal a, wie ihn der Künstler braucht. Sie machen den Grundstellakkord eines jeden Tones aus und sind gleichzeitig damit: der Ansatz selbst, der weder ein einzelner Vokal noch eine einzelne Stimmorganfunktion ist, sondern ein Dreiklang auf einem Ton.

Da hier drei Vokale ineinanderfließen, die wir je nach Bedürfnis verändern und doch zusammenhalten müssen, brauchen wir noch ein Bindemittel, das uns die geschlossene Form gefügig erhält. Dazu verwenden wir am besten den Halbvokal j. Er wird mit breitem Zungenrücken gegen den sich senkenden weichen Gaumen gesprochen und schließt die Form des inneren Mundes ab. Lösen wir beim Aussprechen von Vokalen, Konsonanten und Worten die Jotstellung nicht ganz, d. h. lösen wir den Zungenrücken nicht ganz vom weichen Gaumen und sprechen oder denken u dazu, so fällt nur die mittlere Zunge unter die Zähne, der weiche Gaumen zieht sich gegen die Nase hinauf und die Vokalform bleibt für jedes Nächste vorbereitet. Am besten stellt man sich das j als ein von Zunge und Gaumen bereitetes Scharnier vor, das alle Buchstaben untereinander verbindet, nach hinten durch Zungenrücken und Gaumen oder auch Segel abgeschlossen ist, sich aber nach oben mit i, nach unten mit u, gegen Nase und Kinn weich öffnen lässt; durch Gummibänder ans Scharnier aber gefesselt ist.

Ein gewöhnliches a, wie es fast jeder Laie spricht, wie es so viele Lehrer von ihren Schülern verlangen, ist ein Unding, da die Zunge gewöhnlich - und nicht nur von Natur, sondern oft noch künstlich mit Instrumenten heruntergedrückt wird, was zu flachem, ordinärem, fehlerhaftem Gesang, nicht selten zum Ruin der Stimme führt.

Bei Aussprechen des Vokals i müssen alle Bänder und Muskeln von Nase und Wangen in Aktion treten. Die Nasenflügel blähen sich und mit ihnen breitet sich das Gaumensegel.

Mit e stellen wir den Kehlkopf enger unter die Nase und verbinden beide Vokale so, dass, wenn wir e sagen, es mit i mischen, und wenn wir i sagen, ihm eine energische Mischung von e dazugesellen.

Die e-Stellung ist die erste und Hauptaktion beim Ansatz, allem Singen und Aussprechen und muss unter allen Umständen - enger oder weiter, dunkler oder heller, kräftiger oder ganz abgeschwächt, immer beibehalten werden. Weil durch diese Stellung allein der Atem am harten Gaumen seinen Anschlag findet. Das e gibt dem Ton die konzentrierte Kraft; es öffnet den Kehldeckel. Nicht selten stellen Schüler, ja viele Sänger sogar, den Kehlkopf gar nicht ein, der Ton ist kraft- und energielos und flattert oft haltlos hin und her. Solch ein Fehler kann nur verbessert werden, indem der Schüler oder Sänger vor jedem Ton und Buchstaben sehr energisch e einstellt, indem er die Empfindung hat, den Kehlkopf direkt unter die Nase ins Kinn hineinzuschieben.

Haben wir als erste Position den Kehlkopf mit e eingestellt, legen wir im Gedanken an i die breite weiche Zunge noch höher an den ganzen Gaumen, der sich ihr entgegensenkt. Die Nase bläht sich noch weiter, und wir gelangen - wie von einem Gummiband gezogen, an das über der Nase klingende i, wobei sich der Kehlkopf noch enger, d. h. hinten etwas gegen das i zu durch die Zungenstellung hebt und vorne mit dem e etwas weiter vor u hinunterrückt, einstellt. Man vermeide jeden Zungendruck! Von dieser zweiten Position gehen wir auf die dritte über, sobald wir uns des Scharniers mit j versichert haben. Wir ziehen dann, mit dem Gedanken an u, die Zungenspitze schnell unter die Unterzähne zurück, lassen alles, was unter der Zunge liegt, weich heruntersinken und sprechen nun, mit den Lippen nach vorne geschoben, den Vokal u aus. Das e bleibt durch j ans i gebunden, kann und darf - wie bei keinem Vokal - verlorengehen. Der weiche Gaumen hat sich bei dieser Zungen- und Kehlkopffunktion vom Zungenrücken entfernt, legt sich gegen die Nase und deckt den Ton. Der Zungenrücken aber bleibt in seiner j-Stellung so hoch und weich als möglich liegen. Durch die so gehobene Zunge, den eng gestellten, aber sehr weich gehaltenen Kehlkopf, die freie, nur wenig gedeckte Nase bleiben die beiden hellen Vokale teilweise bestehen und verbinden sich mit dem dunkeln Vokal zu einem vollkommenen Gesangston, d. h. einem notwendigen Dreiklang, der wie a klingt und es doch im gewohnten Sinne nicht mehr ist. In der sanft zusammengequetschten e- und i-Form wird durch obige kleine Formveränderung ein winziger Hohlraum zwischen Vorderzunge und Gaumen geschaffen, der dem nun mit der Brustresonanz verbundenen Ton Platz macht. Durch Tiefstellung, oder besser gesagt, durch Erweichen des Kehlkopfs tritt diese in die Erscheinung. Durch die nach hinten geschlossene j-Form kann sich der Ton vorne halten, und diese Art zu singen - es gibt nur eine wirklich gute, die je nach der Individualität durch Größe der Stimme und Geschicklichkeit variiert - heißt man: nach vorne singen.

Die Empfindung der drei Vokalstellungen zueinander erstreckt sich von der Nase über Gaumen, Zungenrücken und Wurzel, Kehlkopf, Brust, Rippen bis zum Zwerchfell herunter. Je höher wir singen wollen, je prägnanter und elastischer haben wir die e-Linie als Mittelpunkt eines jeden Tons und Tonansatzes zu betrachten. Je höher und weicher die Nasen- und Zungenfunktion mit i und e geht, desto tiefer, bis zum Zwerchfell herunter, geht die Spannung mit u, das dann in i und darüber hinaus zu klingen scheint, als sei es eine senkrecht gespannte Saite. Es bedarf keines Druckes oder Krampfes, wohl aber einer sehr starken Energie, die Muskelspannung trotz aller Festigkeit elastisch, schwebend und doch aneinander gebunden beizubehalten.

Wir haben beim Vokal a ganz besonders darauf zu achten, der anders gewöhnten Zunge unter keinen Umständen zu gestatten, ihren alten Weg zu gehen, sondern sie immer wieder auf j zu verweisen. Wird der durch die drei verschiedenen Vokale erzwungene a-Vokal anfangs auch mehr wie e oder i oder u klingen, so dürfen wir uns davon nicht beirren lassen. Durch bewusstvolles Üben gewöhnt man die Zunge doch daran, und zur Vollendung gibt es keinen anderen Weg.

Liegen die Schwierigkeiten des a-Vokals hauptsächlich im Aufgeben alter Gewohnheiten und dem Umstellen auf drei andere Vokale, so bringt der e-Vokal wieder andere mit sich. Wie ich schon beim „Ansatz" sagte, wird für den e-Vokal der Kehlkopf enger und energisch mit der Nase verbunden. Durch Ausbreiten der Nasenflügel bereitet man sich darauf vor. Man erhält dann die Empfindung, als säße der Kehlkopf direkt unter der Nase im Kinn. Schlagen wir nun energisch e an, so werden wir bald gewahr, dass ihm eine Kraft innewohnt, die teils durch das energische Öffnen des Kehldeckels beim Aussprechen des e, anderenteils durch die Stellung des Kehlkopfs hervorgebracht wird, welche das Anschlagen des Atems oder Tons am harten Gaumen ermöglicht. Diese e-Kraft muß jedem unserer Töne innewohnen, ja jedem Buchstaben. Sie weise auszunutzen, zu verteilen, elastisch zu verwenden, im fortissimo nicht zu überreizen, im piano nicht zu verlieren, ist eine Kunst für sich und ein großer Teil der Gesangskunst überhaupt.

Für mich ist e die Notenlinie, auf der ich wie auf einer Wage meine Tonkraft messe, sie nach oben und unten balancierend abwäge. Sie ist der Kern eines jeden Tons; das Bindemittel zwischen stark und schwach; eine Kraft, die unaufhörlich gespart und doch auch wieder weise verschwendet werden soll.

So viele Sänger können darum nicht markieren, weil sie diese Kraft, diese elastisch energische e-Stellung loslassen und nun nichts mehr übrig haben als ein vom e ungestütztes i, mit dem die lose Kopfstimme wohl auf höheren Tönen Stich hält, den Sänger aber verläßt, sobald er in tieferen Lagen markieren will. Markieren heißt nicht, alle Organstellungen und Muskelspannungen zueinander auflösen und nur zu piepsen, sondern mit vollständig untereinander verbundenen Organen - deren Kraft sorgfältig vermindert ist - gebunden weich und gut singen. (Siehe unten: Vom Markieren.)

Wir müssen also auch im schwächsten Piano diese zum vollkommenen Ton gehörige Kraft einstellen und sie mit Energie weich erhalten. Wir dürfen sie elastisch verteilen, sie anschwellen lassen, indem wir sie auf unsere Hilfsvokale und Organe mit übertragen, dürfen sie aufs Minimalste abschwächen, sie aber niemals ganz außer Dienst stellen. Sie setzt sich um in Energie, die, auf elastischem Boden schwebend, von elastischen Organmuskeln getragen, immer vorhanden sein muss; selbst dann, wenn wir nicht singen, d. h. in einem Liede, einer Rolle pausieren. In unserem Körper hat die Energie, die sich während der Pausen wieder in vorbereitende Konzentration umsetzt, weiter fortzuleben und teilt sich, dem Zuhörer unbewusst - auch diesem mit und ist das fesselnde Band zwischen Künstler und Publikum.

Unser hellster Vokal i wäre kraft- und saftlos ohne Mithilfe des e. Die beiden Vokale sind eng miteinander verbunden, auf beiderseitige Mithilfe angewiesen. i erhält seine Kraft vom e; e Leichtigkeit und Tonhöhe vom i. Die Verbindung zwischen beiden ist ebenfalls an einem Gummibande an der Nasenstellung am Gaumen zu denken. In fortwährendem Wechsel eng miteinander verbunden, treffen sie sich bald an einem, bald am anderen Ende ihrer Bahn. Aber auch das u darf nicht allein gesungen oder gesprochen werden; es behält die e-Stellung und das e bei, weil es ohne dieses hohl und kraftlos klingen würde. Und immer braucht es noch die Mithilfe vom i, das die sehr gedeckte Nase öffnet.

Wir haben nun Beweise genug vor Augen, dass man einen Vokal niemals allein singen kann, weil es die Vollkommenheit des Tons, der Gesangs- und Sprechkunst eben anders erfordert. Erst wenn sich sämtliche Vokalstellungen in schnell funktionierende Gedächtnis- und Muskelgewohnheiten umgesetzt haben, dürfen wir von technischer Kunstfertigkeit sprechen und auf unser Können rechnen. Dann erst können wir von einem musikalisch gebildeten Tongehör sprechen, wenn wir uns aller Forderungen klar geworden sind, die die Kunst an uns zu stellen berechtigt ist. Dazu gehört das oben Gesagte nicht allein, wir haben auch nebst den Vokalmischungen noch des Heraushebens, des für das Wort am wichtigsten zu gedenken, und nicht nur der Mischung der für jedes Wort und jeden Buchstaben geeigneten Tonfarbe.

Der Vokal o ist insofern unbequem, als man leicht geneigt ist, die ihm notwendige Formerweiterung zu übertreiben. Man halte die vergrößerte Form indessen ebenfalls rund abgeschlossen und erweiche sämtliche Hilfsvokale wie i, e, u noch mehr als bei anderen.

Um zum Begriff zu gelangen, müssen wir natürlich anfangs übertreiben, also auch das Mischen der Vokale. Sobald man aber, durch gute Lehrer geführt, seines Gehörs und Urteils sicher geworden ist, wird man auch gewahr werden, wie schon die kleinsten Nuancen den Ton verändern, wie fein sie wirken. Je feinfühliger sie in den verschiedenen Stärkegraden angewendet werden, desto farbenreicher, lebendiger und edler werden sie Ton, Wort und Sinn zu stimmen vermögen, die dem seelischen Ausdruck des Künstlers wünschenswert erscheint.

 

Aprile, Giuseppe [von Wolfgang Amadeus Mozart] Der Aprile singt unvergleichlich.

 

Anständigkeit der Musik [von M. H. Fuhrmann, 1706] Wenn ein Junker gleich so edel ist, dass ihm die Rebhühnerfedern zur Nase herausstehen möchten, so ist ihm doch die Vokal- und Instrumentalmusik nicht unanständlich, sondern sein Tugendglanz wird von der Musik vielmehr vermehrt, wie der Glanz eines Diamanten in Silber eingefasst. Ist also dieser Schluss nicht richtig: Haec ars non est de pane lucrando pro me, ergo so darf ich sie nicht studieren. Nein. Ein Bauer mit dem Dreschflegel argumentiert so; ein liberales Gemüt aber lernt unterschiedliche Dinge, nicht Profession davon zu machen, sondern auch zu seiner Rekreation. So wenig nun Personen adeligen Standes, so viel weniger haben Leute bürgerlichen Standes sich der Musik zu schämen und solche zu verachten. Hier stinkts nun abermal, wenn man ein wenig bei denselben ans Haus zuhorchet, denn weil die Eltern von der Musik oft so viel Verstand als eine Martinsgans haben, dieselbe für eine brotlose Kunst halten und solche in ihrer Jugend selber nicht gelernt, so halten sie auch ihre Kinder nicht dazu, damit die Jungen ja nicht klüger werden als die Alten und der alte Lobgesang: Narravere Patres, et nos narramus cum illis, noch ferner per traducem propagiert und das feine lateinische Sprichwort: A bove majori discit arare minor, auch auf ihre Nachkommen unverrückt fortgepflanzt werde, das macht: Ars non habet osorem, nisi ignorantem; denn was einer nicht versteht, danach verlangt ihn auch nicht; wonach einen nicht verlangt, das bedenkt er auch nicht; und was einer nicht bedenkt, das vergisst und verachtet er endlich gar.

 

Anzani, Giovanni  Schüler von Porpora. Einer der besten Tenöre der altitalienischen Schule (Fétis). In Neapel Lehrer von Manuel Garcia d.Ä., kurz auch von Manuel Garcia d.J.

 

Arten zu singen [von Tosi, 1723] Männliche, kindische, erhabene, pöbelhafte.

 

Atem (1) [von Lilli Lehmann] Der Atem wird vermöge unseres Willens und mittelst unserer Stimmwerkzeuge zur Stimme.

Den Atem zu regulieren, ihm die passende Form zu bereiten, in der er laufen, kreisen, sich entfalten und seine ihm nötigen Resonanzräume erreichen kann, muss unsere Hauptaufgabe sein.

Wie atmete ich?

Sehr kurzatmig von Natur, musste mich meine Mutter als kleines Kind fast sitzend im Bette erhalten. Wenn sich das auch bald verlor und ich als großes Mädchen genug herumtollen und laufen konnte, hatte ich zu Beginn meines Gesangsstudiums doch viel mit kurzem Atem zu kämpfen. Auch ohne zu singen, machte ich damals jahrelang Atemübungen, und mache sie noch heute. Nur auf andere Art; durch permanentes Silbenaussprechen auf dauernd abnehmendem Atem; da mir alles, was Atem und Stimme anbelangt, klar geworden ist Bald brachte ich es dahin, ruhig an- und abschwellende Töne 15-18 Sekunden lang halten zu können, was mir heute ganz unnötig erscheint.

Gelernt hatte ich: Bauch und Zwerchfell einziehen, die Brust heben, den Atem in derselben mit Hilfe der sich ausdehnenden oberen Rippen festzuhalten. Beim Ausströmen des Atems den Leib allmählich langsam freizugeben.

Um alles recht gründlich zu machen, übertrieb ich wahrscheinlich alles. Da ich aber jahrelang fast ausschließlich mit großer Achtsamkeit so atmete, erreichte ich natürlich eine große Fertigkeit darin, und meine Bauch-, Brust- und Zwerchfellmuskeln stärkten sich ganz außerordentlich. Zufrieden war ich aber nicht.

Ein mit sehr langem Atem begabter Hornist in Berlin sagte mir auf Befragen, dass er Leib und Zwerchfell sehr stark einziehe, den Leib aber sofort wieder freigäbe, sobald er zu blasen anfinge. Das versuchte ich mit bestem Erfolge.

Sehr naiv lauteten dagegen die Antworten dreier deutscher Orchesterbläser in Amerika, die mich ganz verdutzt ansahen und meine Frage nach Atemholen gar nicht zu verstehen schienen. Zwei erklärten: es sei am besten, sich gar nicht darum zu kümmern. Als ich sie frug, ob ihre Lehrer ihnen nie gesagt hätten, wie man Atem holen müsse, entgegnete der Dritte nach einigem Besinnen: „O ja", und zeigte auf die Magengegend. Die ersten hatten insofern recht, als das starke Atemholen wirklich schlecht ist, weil man zu viel Luft einsaugt. Die Unkenntnis aber der Ursache ist traurig und ein schlimmes Zeichen für Konservatorien, in denen Instrumentalisten ausgebildet werden, deren Ausübung dann natürlich der Kunst ebenfalls ins Gesicht schlägt.

Gewiss atmete ich viel zu viel Luft ein, krampfte dabei dies und jenes, was mir natürlich wieder die Elastizität meiner Atmungsorgane und Muskeln raubte, hatte trotz aller Vorsicht und Vorbereitung beim Einatmen oft nicht Atem genug, manchmal, wenn ich mich nicht sonderlich vorbereitet hatte, mehr als zu viel. Auch fühlte ich beim übermäßigen Einatmen, wie ich immer vor dem Singen ein Quantum Luft abgeben musste. Ich unterließ schließlich alles übermäßige Einziehen des Bauches und Zwerchfells, atmete nur wenig ein und begann besonders auf die ganz minimale Ausatmung zu achten, was mir sehr zu statten kam.

Das Zwerchfell ziehe ich nach innen, den Bauch nur wenig ein, um ihn gleich wieder freizugeben. Die Brust hebe ich, dehne die oberen Rippen und stemme die unteren wie Säulen darunter. So bereite ich die Form für meinen Gesang vor, die Vorratskammer für den Atem, genau wie ich es bei meiner Mutter gelernt hatte.

Gleichzeitig ziehe ich den Gaumen an der Nase in die Höhe, wehre dem Atem das Entweichen aus der Nase. Das Zwerchfell stemmt sich unten weich dagegen und bildet die Bauchpresse. Brust, Zwerchfell, der geschlossene Kehldeckel bilden eine Vorratskammer für den Atem.

Erst wenn ich zu singen angefangen habe und dazu ein „e" ausspreche, treibe ich den Atem gegen den Brustkorb, wobei die Brustmuskeln in Aktion treten. Mit den elastisch gespannten Zwerchfell- und Bauchmuskeln verbunden - der Bauch wird während des Singens immer wieder in seine natürliche Lage gebracht -, bilden sie eine Presse in der Form, die wir als Vorratskammer und Flussbett des Atems kennenlernten. Die Presse macht uns den Atem während des Singens kontrollierbar.

Aus dieser Vorratskammer wird der Atem sparsam und weich nach hinten durch die ihn regulierenden Stimmbänder und durch den geöffneten Kehldeckel herausgedrängt. Der Vokal „e" öffnet den Kehldeckel; er muss - auch wenn andere Vokale gesprochen werden sollten - stets neu gedacht, gestellt „e" ausgesprochen werden. Dann empfindet der Sänger nur die aufgeblähte, wohlverschlossene Form der Vorratskammer, die er durch vorsichtige Aussprache der Konsonanten insbesondere, zu verletzen sich hüten muss. Je länger die Form unverletzt bleibt, desto weniger Atem entgeht ihr, desto länger kann er der Form entfließen.

Diese Form oder Vorratskammer, die Presse, welche Bauch, Zwerchfell und Brustmuskeltätigkeit umfasst, wird vielfach: „Atemstauen" und „Stauprinzip" genannt, Namen, welche die Gefahr in sich tragen, den Schüler zum Festhalten des Zwerchfells sowie Zurückhalten des Atems zu veranlassen und sämtliche Organe steif zu machen, während nur aus stetig lebendig gehaltener Form mit elastischer Muskelarbeit der Atem fließen, der Ton fortklingen kann.

Je weicher die Atempresse gegen die Brust arbeitet - man hat das Gefühl, als müsse der Ton dort sanft und weich herausgedrängt werden -, je weniger stark strömt er gegen die Stimmbänder, je weniger also werden sie direkt belastet. Die starke Mitarbeit der Brustmuskeln und Zwerchfellpresse verhindert die Überanstrengung der direkt beteiligten Stimmorgane.

Auf diesem Wege gelangt der Atem kontrolliert in die über ihm von der Zunge bereitete Tonform, an seine durch Heben und Senken des Gaumens vorbereiteten Resonanzflächen und gegen die Kopfhöhlen. Hier bildet er tönende Wirbel, die nun alle erreichbaren Resonanzplätze auszufüllen haben, deren der Ton zu seiner Vollkommenheit bedarf. Erst wenn der letzte Ton einer Phrase die Schallbecher des Mundes und der Lippen passiert hat, darf der Atem unbehindert ausströmen, die Form der Vorratskammer sich auflösen, um sich jedoch für die nächste Phrase schnell wieder vorzubereiten. Die vielen Funktionen einzeln oder im Zusammenwirken zu beobachten und zu kontrollieren, ist der ewige Reiz einer unversiegbaren Quelle des Gesangsstudiums. Bei der Formbereitung für den Atemlauf (Tonlauf) sind also sämtliche Organe wie: Bauch, Zwerchfell, obere Rippen, Kehlkopf, Zunge, Gaumen, Nase, Lungen, Bronchien, Bauch- und Brusthöhle und deren Muskeln beteiligt, die man in gewissem Grade willkürlich zueinander stellen kann, und wir Sänger haben die Verpflichtung, uns die dazu erforderliche technische Geschicklichkeit zu erwerben, um möglichst Vollkommenes zu leisten. Die Stimmbänder, die man sich am besten als innere Lippen vorstellt, fühlen wir nicht. Wir werden ihrer erst durch den Kontrollapparat des Atems gewahr, der sie uns schonen lehrt, indem wir den Atem in möglichst minimalster, gleichmäßig starker Quantität durch sie hindurchströmen lassen und damit einen ruhigen Ton erzeugen. Ich behaupte sogar, dass alles gewonnen ist, wenn wir sie direkt als Atemregulatoren ansehen und ihnen durch den Kontrollapparat der Brustwiderstandsmuskeln jede Überlastung abnehmen. Mit der Zunge, deren Rücken unser Atem- und Ton-Steuer bildet, vermögen wir den Atem an diejenigen Resonanzstellen zu leiten, die jeder Tonhöhe zukommen. Die Regel bleibt sich für alle Stimmen gleich.

Ist für den Atem eine elastische Form im Munde geschaffen, hinter der die Wirbel unbeeinträchtigt von Druck, übermäßiger Verengung oder Erweiterung kreisen können, wird der Atem schier endlos. Dies die einfache Lösung des Rätsels, dass man ohne tief zu atmen oft sehr viel, und bei aller Vorbereitung oft gar keinen Atem hat. Meist lenkt man die Hauptaufmerksamkeit auf das Einatmen, anstatt auf die elastische Formierung und Beweglichkeit der Organe und die minimale Ausatmung zu achten. Es liegt nur an der Unkenntnis der Ursachen, an Formlosigkeit, Druck und krampfhaftem Festhalten der Muskeln, wenn ein Sänger nicht alles das in einem Atem singen kann, was in der musikalischen oder sprachlichen Phrase zusammengehört.

Sobald der Atem den Kehlkopf verlässt, findet eine Verzweigung desselben statt. Ein Teil kann an den Gaumen, der andere gegen die Kopfhöhlen dringen. Die Atemverzweigung geht im Gesetz vom tiefsten Bass bis zum höchsten Tenor oder Sopran, Schritt für Schritt, Schwingung für Schwingung weiter, ohne Rücksicht auf Geschlecht oder Individualität. Nur die verschiedene Größe oder Stärke der Stimmwerkzeuge, durch die der Atem läuft, die Atemorgane oder die Geschicklichkeit, die Stimmorgane zu gebrauchen, sind individuell. Der Sitz des Atems, das Gesetz der Verzweigung sowie die Resonanzstellen bleiben immer dieselben, und sind höchstens durch verschiedene Gewohnheiten verschieden.

(2) [von Lilli Lehmann] Vom Atem und den Wirbeln. (Nach vorne Singen.) Die wenigsten Sänger wissen, dass der Atem, um ihn ganz auszunützen, sogar sehr lange hinten im Munde bleiben muss. Der falsche Begriff des nach vorne Singens verführt die meisten, ihn mit dem Zwerchfell allein nach oben zu stoßen und ihn damit zu verpaffen. Einer der allgemeinsten Fehler. Das Zwerchfell muss im Gegenteil nach jedem Tonansatz abgespannt, d. h. sofort erweicht werden, was ein Erweichen sämtlicher Muskelspannungen der Stimmorgane zur Folge hat. Sie werden, sobald sie gut zueinander gestellt und wieder eingespannt sind, durch die leichte Abspannung des Zwerchfells in elastischen Zustand versetzt, nachdem der Tonansatz die ganze energische Konzentration erfordert hat. Selbstredend darf weder Form noch Zusammenspannung der Muskeln davon alteriert werden; nur elastisch und beweglich werden sollen sie für alle weiteren Anforderungen. Auf solche Art kann man den Atem regulieren und auf das Sparsamste verwenden. Der aus dem Kehlkopf säulenartig aufsteigende unbehindert strömende Atem muss, sobald er in die ihm für jede Tonlage notwendige, von Zunge und Gaumen bereitete Form einfließt, diese in allen Ecken schwebend als Wirbel ausfüllen, welche in der ihn elastisch umschließenden Form kreisen und so lange darin verweilen müssen, bis der Ton hoch, stark und lang genug ist, um der Kontrolle des eigenen sowie dem Ohre des Zuhörers zu genügen. Fehlt nur der geringste Teil an Höhe, Tiefe, Stärke oder Dauer, ist der Ton unvollkommen und entspricht nicht seinem Wert.

Das hören zu lehren und zu lernen ist die erste Aufgabe des Lehrers sowohl als des Schülers. Eines ohne das andere ist unmöglich. Es ist die schwierigste aber auch dankbarste Aufgabe und der einzige Weg zur möglichsten Vollkommenheit.

Selbst wenn der Schüler unbewusst tadellose Töne hervorbringen sollte, hat der Lehrer die Verpflichtung, ihn mit den Ursachen derselben genau bekannt zu machen. Es genügt nicht nur gut zu singen, man muss auch wissen warum. Der Lehrer muss den Schüler fortwährend prüfen, sich dessen Stimmempfindungen genau beschreiben und sie mit den physiologischen Ursachen in Zusammenhang bringen lassen.

Die Stimmempfindungen müssen sich mit den hier beschriebenen decken, wenn sie richtig sein sollen, denn diese sind genau auf physiologische Ursachen geprüft und decken sich mit deren Wirkungen. Außerdem sagen mir meine Schüler alle - freilich oft nach vielen Monaten -, wie genau meine Erklärungen wären, wie sicher sie die physiologischen Vorgänge daraufhin empfinden lernten. Langsam freilich, bis sie sich ihrer Fehler und Empfindungen bewusst werden, was über Fehler und falsche Organstellungen hinweg sehr schwer zu konstatieren ist. Falsche Stimmempfindungen, resp. unbeobachtete und falsche Ideen der physiologischen Vorgänge lassen sich nicht gleich niederkämpfen. Es dauert sehr lange, bis der Geist sich ein klares Bild davon zu entwerfen vermag, dann erst kann man auf Erkenntnis und Besserung rechnen. Der Lehrer muss dem Schüler so lange die physiologischen Vorgänge erklärend wiederholen - der Schüler den Lehrer bei jeder Unklarheit und Unsicherheit so lange fragen -, bis das klare Bewusstsein seiner Stimmempfindungen in seinem Gedächtnis unwiderruflich aufgenommen, d. h. zur Gewohnheit geworden ist.

Unter hundert Sängern dürfte sich kaum einer finden, dessen einzelne Töne allen Anforderungen entsprächen. Und unter 1000 Zuhörern und Lehrern, selbst Künstlern, hört es kaum einer.

Ich gebe zu, dass solch vollkommene Töne bei jungen Sängern, bei Anfängern besonders, zeitweise, gewöhnlich ganz unbewusst vorkommen, und nicht verfehlen, Eindruck zu machen. Der Lehrer hört, dass es gut ist, ebenso das Publikum. Die Wenigsten aber wissen warum, selbst Sänger nicht, weil den Wenigsten die Gesetze eines vollkommenen Tons bekannt sind. Ihr Talent, ihr gutes Ohr läßt sie das Richtige zufällig treffen, die Ursachen kennen und suchen sie nicht.

Man wird mir einwenden, dass auch unbewußt gut gesungene Töne genügen. Dem ist aber nicht so. Das kleinste Hindernis, sei es Überanstrengung, Unwohlbefinden, Ungewohnheit, alles kann dem „Unbewussten" das Licht ausblasen, es mindestens sehr inkommodieren. An eine Selbsthilfe ist bei Unkenntnis aller Ursachen nicht zu denken. Man hilft sich, wie man kann. Bei der Kompliziertheit des Phänomens ist das nicht zu verwundern. Nur wenige Lehrer befassen sich mit gründlichen Studien, singen selbst oft gar nicht oder falsch, können also weder Stimmempfindungen beschreiben noch prüfen. Die Theorie allein hat gar keinen Wert.

(3) [von Lilli Lehmann] Wie atme ich? - Man könnte die Bauch- und Brustpresse wohl besser noch Blasebalg nennen, weil dessen Klappfalten wie die untern Räume unserer Lungen stagnierende Luft enthalten. Diese zu unterst lagernde Luftschicht wird erst durch das automatische Ein- und Ausatmen, d.h. durch die elastischen Bewegungen der Lungen zu einer zweiten, beweglichen Luftschicht geschaffen, die über der stagnierenden zu liegen kommt. Durch das automatische Ein- und Ausatmen zieht die obere Luftschicht die untere zur Mitarbeit heran und erzeugt unruhig wellenförmige Bewegungen. Auf dieser unruhigen Fläche könnten wir nicht singen, ohne Gegenmittel zu gebrauchen. Wir sind also gezwungen, unsere Sprech- und Stimmorgane so zueinander zu stellen, dass sie dieser Unruhe Halt gebieten. Nicht umsonst wird also bei Einstellung der Ton- und Wortform, ehe Ton und Wort hörbar werden, eine ebenfalls alle Bewegung stagnierende Pause geschaffen, die dazu dient, die in uns sich bewegende Luft beruhigen zu lassen, was auch noch nach dem Tonansatz durch sofortiges Atemabnehmen besonders und überhaupt dauernd zu kontrollieren bleibt.

Wie ich von jeher sagte, atmen wir unaufhörlich ein und aus, und nur in der stagnierenden Augenblicks-Vorbereitungsform und Pause zum Sprechen oder Singen unterbleibt das Ein- und Ausatmen, sobald es unsern Willen untertan ist, durch bestimmtes Einstellen unsrer Sprech- und Stimmorgane und deren Muskeln.

Darum darf man weder bei künstlerischem Sprechen noch Singen tief einatmen, weil zu viel Luft in die Lungen dringt, die deren elastischen Bewegungen unzuträglich ist, die wir wohl beim Gehen oder Laufen, niemals aber bei künstlerischem Sprechen oder Singen wieder los werden können.

Der Blasebalg muss sich mit der flachen Seite zwischen Bauch und Brust, mit der Breitseite nach vorn, mit der Spitze nach hinten zu liegend gedacht werden. Der oberste Handhebel als Kehlkopf, der unterste als Zwerchfellhandhabe, die beide gegeneinander zu arbeiten haben, um die im Blasebalg befindliche Luft nach hinten zu befördern, von wo sie durch den Kehlkopf strömend von Zunge und Gaumen ihren Zielen zugeführt wird.

Ich ziehe den Bauch schnell ein, wobei sich die Brust hebt, die von den unteren Rippen gestützt wird, und öffne den Mund, der offenstehen bleibt, als wolle ich zu sprechen anheben, und dem im Augenblick des Anstoßes vom Zwerchfell aus ein Teil überflüssiger Atem entflieht. Der noch vorhandene Atem aber bleibt plötzlich still stehen; er wird erst lebendig, wenn Ton und Wort beginnen. Auch die Nasenflügel hatten sich gebläht. Das ist die ganze Vorbereitung; doch ist vieles noch zu beachten. Das Atemanheben ist nur ein Ruck vom Bauche aus, wie man im Schreck ein ah oder ha ausstößt, wobei alle Körperfunktionen plötzlich erstarren. Beim Sänger aber wird diese Erstarrung zur Kunstpause, geistigen Konzentration und körperlichen Muskelkontraktion, die sämtliche Arbeitskräfte zusammenstellt und aneinander bindet.

Diese Kunstpause, deren Dauer dem künstlerisch-rhythmischen Geschmack des Sängers anheimgestellt ist, wird bei jedem Atemholen, jedem Einsatz einer Phrase, vor bestimmten Konsonanten, Silbentrennung und Silbenschlüssen aufs Neue geschaffen. Sie lässt uns Zeit, die Elastizität und Spannkräfte unserer Muskeln von oben bis unten zu prüfen, und zwingt - obwohl stumm - die Zuhörer autoritativ zur Aufmerksamkeit für des Künstlers Aufgabe. Dies bewusste Erstarren ist also nichts weiter als eine mechanisch schnelle Formeinstellung, die alles in sich schließt, dessen wir zum Gesang bedürfen.

Wir wollen nun sehen, welchen Weg der Atem geht und was wir zu tun haben, um ihm die Bahn zu bereiten, sobald die Tätigkeit sämtlicher Organmuskeln durch Ton und Wort in die Erscheinung tritt. Wie wir aber sämtlicher Muskeln zur Mitarbeit beim Singen bedürfen, so kann man auch niemals eine zur Gesangskunst gehörige Funktion allein beschreiben, ohne alle anderen Funktionen, die ineinander arbeiten, mit zu bemerken. So muss auch ich mich stets wiederholen, sobald ich eine oder die andere erklären will; genau wie ich als Sängerin dieselben Stellungen immer wieder neu schaffen und beleben muss. Schon hier weicht die Gesangskunst vom Dilettantismus ab insofern, als der Ungelehrte singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, bald hold, bald unhold, der Künstler aber eine äußerst komplizierte Form von sämtlichen Sprach- und Stimmorganen seines Körpers zu schaffen hat, die auf der Innenlinie zwischen Stirne und Zwerchfell hinunterstehen, um dem Kunstgesang und dessen Anforderungen zu entsprechen. Um diese Form handelt es sich auch beim Ruck des Atemanhebens, die, wenn wir ihrer erst durch Bewusstsein und Gewohnheit Herr geworden, sich augenblicklich mechanisch schnell zusammenstellen lässt.

Die Form besteht aus bestimmten Stellungen von Nase, Gaumen, Zunge, Kehlkopf, Brustkorb, Rippen, Zwerchfell, Bauch, deren Muskeln sie miteinander verbinden; aus Spannern und Gegenspannern, die Bewegung und Haltbarkeit der Organe sichern.

Wir hatten kurz eingeatmet; der in der Brust gestaute Atem steht still. Um nun die Maschine in Gang zu setzen, hat der Kehlkopf ein sehr starkes e auszusprechen, das alle Muskeln in Spannung versetzt. Es wird unter dem zurückgenommenen Kinn gegen die Brustmuskeln ausgesprochen, die dadurch mit dem Kehlkopf und allen oberen Organen in Kontakt treten. Gleichzeitig mit diesem gegen die Brustmuskeln ausgesprochenen Kehlkopf-e schlägt das Zwerchfell mit dem Bauch von unten nach oben gegen die Brust hinauf resp. den Kehlkopf - in der Empfindung dasselbe e - als Gegenanschlag an, so dass der Atem von oben nach unten durch den Kehlkopfanschlag und von unten nach oben mit der Zwerchfellattacke gegen die Brust getrieben, sich an den Brustmuskeln begegnen. Sämtliche Spannkräfte der Muskeln aller Stimm- und Atmungsorgane sind nun miteinander verbunden und bilden im Brustkorb das Atem-Stauwerk oder die Vorratskammer oder die Atempresse.

Die Aussprache erst macht Form und Atem lebendig; sie hat bei jedem Buchstaben und Tonwechsel vorsichtige Lösungen und Neuspannungen der Organmuskeln in der zusammengestellten Form einzuleiten und lebendig zu erhalten. Die Aussprache des e und des dazu gehörigen Zwerchfells zwingt den Kehlkopf zu starker Muskeltätigkeit, und ohne sein Vordrängen durch das e und i hätten wir nur eine leere Form, eine Glocke ohne Klöppel. Wenn der Kehlkopf z.B. auf dem leeren u stände, ohne das Aussprechen von e, das den Kehlkopf dazwischen setzt, gäbe es nur hohle wenn vielleicht auch große Töne, dessen sich manche Sänger bedienen, deren Stimmen man schlechtweg „Ofenröhren" nennt. Sie klingen dunkel und leer, wie wenn jemand durch alte Blechröhren tutet.

Unser Kehlkopf verrichtet die künstlerische Klöppelarbeit in der so komplizierten, lebendigen Form, der an ganz bestimmten Plätzen der Formstellung anzuschlagen hat. Der künstlerische Anschlag, der so einfach klingt, ist in seiner Totalzusammenstellung äußerst kompliziert. Muss er doch mit der Glocke aufs Genaueste übereinstimmen wie jede Muskelfaser mit der Formkonstruktion. Wir haben es im Gesang sowohl als in der Sprache mit ewig lebendigem Material zu tun, das weit schwieriger zu bedienen ist als ein Glockenstrang, den wir mit Händen greifen könnten. Hier heißt es, mit dem musikalisch geübten Ohre hören, mit Geschicklichkeit immer wieder aufs Neue zusammenzustellen, was unaufhörlichen Veränderungen unterworfen ist. Wir haben es mit lebendigen Organen zu tun, deren Muskeln, Venen, Arterien und Nerven unaufhaltsam durch den Kreislauf unseres Blutes vom Herzen aus bedient werden sollen. Und alle diese Funktionen kontrolliert des Künstlers feingebildetes Ohr sowie sein Stilgefühl.

Nun weiter von der Form: Sobald wir mit dem Ruck einatmen, fällt das Kinn weich herunter und wird eng an den Hals zurückgedrängt, der Rachen dadurch so verengt, dass der Zungenrücken hinten hoch aus dem Halse heraustritt, bis gegen die hinteren Segelwände, was man durch Aussprechen von j sehr schnell empfinden lernt Man kann die Zunge dann auf beiden Seiten mit den Backzähnen festhalten. Die Zungenspitze, ebenfalls zurückgezogen, liegt tief im Unterkiefer an den Unterzähnen; weich und energisch harrt sie ihrer Arbeit. Diese Zungen- und Kinnstellung muss möglichst immer beibehalten oder, falls durch Aussprechen alteriert, stets aufs Neue wieder eingestellt werden, was auch nach jeder Formlösung und vor jedem Atemruck zu geschehen hat.

Die Nasenflügel sind stark gebläht. Die Muskeln, die sie bedienen und bis an die Backenknochen unter den Augen hinaufreichen, werden hoch hinauf gezogen und hinter der Nase dem Nasenbein breit entgegengestellt. Sie stehen mit dem weichen Gaumen - der Kuppe - und den Segeln in Verbindung, und diese sind es, die das Gefühl des breiten Entgegenstellens einer Felsenwand verursachen. Der weiche Gaumen hebt und breitet sich, sobald die Nasenflügel dasselbe zu tun anstreben. Die Stellung gibt das Gefühl eines starken Sattels über der Nase. Nun steht auch diese Muskelgruppe, die, stark nach hinten gespannt, von Gegenspannern nach vorne gedrängt wird, mit allen anderen in Verbindung zu Kampf und Widerstand.

Aus dem enorm starken Gefühl heraus, dass man mit dem so eng zusammengestellten Gesichtsmuskelapparat, der anfangs übermäßig gepresst erscheint, sein Gesicht zu einer innerlich starr lachenden Maske verzerrt, könnte der Ausdruck: „in die Maske singen, chanter dans le masque" vielleicht auch entstanden sein.

In der Gesangskunst beruht - wie beim Turnen und Tanzen - alles auf Muskelspannung und Gegenspannung; Hemmungen, wie sie auch Geist und Körper zu eigen sind. - Sämtliche Körper-, Gesichts-, Hals- und Ohrenmuskeln müssen erst konzentriert zueinander stehen - ich hänge meine Gesichts- und Halsmuskeln allesamt über die Ohren; dorthin ist mein Höhenziel -, ehe die eigentliche Bewegungsarbeit einsetzt.

Der vorher eingezogene Bauch wird während des Singens losgelassen oder auch nur erweicht; der Atem bleibt im Brustkorb an den Brustmuskeln der Atempresse erhalten.

Noch ist der Kehldeckel geschlossen; die Nasenflügel breit hinauf gezogen, der weiche Gaumen nach vorne als Sattel dagegen gedrängt. Alle Gedanken sind auf die Aussprache des Wortes und das Anheben des Tones, vor allem aber auf die E-Stellung für beide gerichtet. Das heruntergelassene Kinn, die aus dem Halse entfernte, in die Mundhöhle gewiesene Zunge gestatten dem Kehlkopf, sich frei beim Formen von Buchstaben und Tönen nach unten, oben, hinten und vorne zu bewegen. An allen zusammengestellten Punkten der Form, d.i. oben vom Kehlkopf und unten vom Zwerchfell aus gegen die Brustmuskeln, und direkt am Gaumen, wo er mit der Nasenflügelstellung am Sattel zusammentrifft, hat der Anschlag mit dem Kehlkopf-E gleichzeitig zu erfolgen. Ein einziger kleiner Treffpunkt - eine Zentrale - an einer senkrecht zusammengestellten Formlinie, dessen Fundament Zwerchfell und Brustmuskel; dessen Höhenwart Nasen-, Gaumen- und Zungenstellung bleibt; dessen belebender Mittelpunkt der Kehlkopf mit seiner jejiju-Aussprache allein ist; dessen energische Stellungnahme beim Aussprechen immer nach vorne und nach vorne hinunter zu drängen, den vom Zwerchfell hinaufsteigenden Atem mit den Brustmuskeln vereint bekämpft und dadurch die Atempresse bildet; eben dadurch auch seine Stimmbänder vor Überanstrengung schützend - elastisch arbeiten lehrt und alle mitwirkenden Organspannungen an sich fesselt und meistert. Und bei jedem Buchstaben oder Tonwechsel, der die Form so leicht gefährdet, muss alles wieder erneut auf diesen einen Treffpunkt hin zusammengestellt werden.

Den energischsten Helfer beim Anschlag findet der Kehlkopf am Zwerchfell, das seinen E-Anschlag von oben nach unten mit einem Gegen-E-Anschlag von unten nach oben unterstützt, d.h. beide Anschläge werden durch starke Formvorbereitung gleichzeitig ausgeführt; gleichzeitig wird der Atem vom Kehlkopf durch das e von oben nach unten und der Atem vom Zwerchfell aus von unten nach oben geführt Eine Attacke, die sich vom Zwerchfell bis zu den Brustmuskeln, ja bis zum Kehlkopf in verschiedenen Stärkegraden produzieren lässt und je nach diesen sehr verschiedenen Wirkungen als Akzent für Vortrag oder Aussprache erzielt.

Um sich der Mitarbeit des Zwerchfells zu versichern, das als Fundament jedes Tons, jeder Note, jedes Buchstabens und Ausdrucks und als Erbauer der Atempresse insbesondere anzusehen ist, wählt man am besten Übungen wie verbundene Oktavensprünge. Sobald man die Aufschlagsattacken ohne allzu große Akzente auf dem Grundton gebracht hat, geht man mit dem stark ausgesprochenen Kehlkopf-E, dem Zwerchfell - das die Glockenform von unten abschließt, wie auf einer sich hinab- und entgegenbewegenden Skala - hinunter, während man mit Zungen- und Gaumenformsattel mit ji die ganze Tonskala, ohne einzelne Töne anzuschlagen, hinauffährt. Auf dem Wege von einem zum anderen Intervall müssen eji deutlich ausgesprochen, den ganzen Atemweg durch die Gegenbewegung markieren, als sänge man eine geschobene Skala. Dabei darf der Kehlkopf nur eji festhalten, ohne einen Buchstabenwechsel, und die fortschreitende Form sich nicht verändern.

Bei einer Tonleiter aller Intervalle, wo jede Bewegung für die einzelnen Noten gehört, also auch gestellt werden muss, bleibt die Grundregel der Zwerchfellverbindung dieselbe, nur dass am Grundton der hinaufsteigenden Figur das Zwerchfell sich nicht so breit machen darf wie beim Sprung. Es erhält aber jede einzelne Note die ihr zukommende Körpereigenschaft und Form, während bei den Sprüngen - beim Üben - nur die Luftwege des Atems markiert werden sollen und nur eine Stellung - nichts einzeln gestellt und ausgesprochen wird. Der Sprung ist im Stellgefühl: ein plattes Band; die Tonleiter: dicht aneinander gereihte Perlen, von denen sich eine an die andere festgebunden schmiegt, ohne Kinn- oder Kehlkopfbibberei. Immer bleibt der Kehlkopf mit dem Zwerchfell und der Nasen- und Gaumenstellung verbunden. Auch zu besonders wertvollen Bindungszwecken, die man Bogen oder Bogenführung nennt - nicht zu verwechseln mit portamento, das, oft angewendet, kein Effekt, sondern geschmacklose Angewohnheit ist -, sind die Zwerchfelleffekte für klassisch getragene oder auch kolorierte Gesänge anwendbar.

Die Gegenbewegungen des Kehlkopfes und des Zwerchfells für die Atempresse oder das Stauwerk sind folgendermaßen zu erklären: Der Kehlkopf drängt mit der E-Spannung den Atem an die Brustmuskeln und die Atempresse hinunter, den das Zwerchfell mit seiner Gegenattacke hinaufbefördert, und beide treffen sich am Stauwerk. Dem hier hoch gehaltenen Atem entweicht aber nur ein schon gebändigtes, kleines Teilchen aus dem Stauwerk auf einem Nebenwege durch Luftröhre und Stimmbänder, welche ihn nochmals kontrollieren. Hinter der Zunge hinauf, von dieser an die Kopfhöhlenresonanz geführt, macht dieses Atemteilchen - das wir gar nicht merken - die eigentliche Höhenbewegung der Tonskala, die der Kehlkopf durch seine nach vorn herunter drängende Aussprache, durch sein Hinunterdrängen des Atems nach der Presse produziert. Bei solchen Übungen kann man sich leicht über die Gegenbewegungen von Kehlkopf und Zwerchfell unterrichten. Diese Attacken - auch Glottisanschläge genannt, sobald sie den Kehlkopf unsanft berühren - können in jeder Stärke hervorgebracht werden, je nach Bedarf des Ausdrucks. Sie müssen immer dabei sein, dürfen niemals ganz fehlen; müssen sehr vorsichtig, d.h. geschickt gebildet und ebenso vorsichtig mit gutem Geschmack verwendet werden. Sobald die Aussprache eines Buchstabens auf dem Stellvokal e vom Kehlkopf über die Brustmuskeln zum Zwerchfell und Bauch hinunter und von diesen wieder gegen den Kehlkopf hinauf mit gleichzeitigem Anschlage erfolgt ist, hebt dann die eigentliche Arbeit, d.i. das Perpetuum mobile für Ton, Note und Aussprache, an. Ich füge hinzu, dass ein körper- oder kernloser, also leerer Ton, nie eine vollwertige Note vorstellt, und dass jede Note der Inbegriff eines vollkommenen Tones ist.

 

Ausdruck (1) [von Lilli Lehmann] Wenn wir ein Lied oder eine Rolle studieren wollen, haben wir uns vorerst mit dem geistigen Inhalt des Werkes vertraut zu machen. Erst nachdem wir uns ein klares Bild des Ganzen verschafft haben, dürfen wir an die Ausarbeitung der Einzelheiten gehen, durch welche der Eindruck des Ganzen aber niemals leiden darf; das vollständige Bild muß allüberall hervorleuchten. Parzelliert würde es Stückwerk. Man hat also alles kleinliche Beiwerk zu vermeiden, um den großen Zug des ganzen Bildes nicht zu schädigen. Das Hauptinteresse muss das vollständige Bild in Anspruch nehmen, nichts Einzelnes darf die Aufmerksamkeit von ihm ablenken. Die Unterordnung ist in der Kunst eine Kunst für sich. Alles muss dem großen Zuge angepasst sein, der durch ein Meisterwerk wehen soll.

Ein Wort ist ein Begriff, und nicht nur der Begriff des Wortes, sondern wie sich der Begriff in Farbe und Verhältnis zum Ganzen stellt, ist auszudrücken. Das ist ja der furchtbare Zauber, den Wagner auf mich und alle andern ausübt, der uns zu ihm zwingt, dem sich niemand entziehen kann. Das ist's, was die Ausarbeitung Wagnerischer Gestalten dem Künstler begehrenswert erscheinen lässt. Jede Ausarbeitung eines Kunstwerks erfordert die Aufopferung eines Teils des eigenen Ichs, denn man muss gegebene Gefühle mit den eigenen mischend veranschaulichen, also sein Ich sozusagen bloßstellen. Da wir Menschen verkörpern, dürfen wir uns nicht schonen, sondern müssen mit Aufgebot aller Kräfte unsrer Aufgabe gerecht werden.

In den weiten Räumen des Theaters ist es notwendig, dem Ausdruck ein Übermaß zuzugestehen, das im Konzertsaal in der gesellschaftlichen Form ganz unterbleiben muss. Und dennoch muss das Bild vom Künstler auf das Publikum schon vom ersten Wort, der ersten Note an, übertragen, die Stimmung vorempfunden werden. Diese hängt teilweise von der Haltung und dem Gesichtsausdruck des Sängers ab, die er dem Vorspiel verleiht, wodurch das Interesse für das Kommende bereits geweckt wird, das dem Tonwerk, sowie der Dichtung zukommt.

Das Bild ist fertig in sich, ich habe nur noch die Farben während des Vortrags aufzulegen. Von der Disposition des eigenen Körpers, von dem elektrischen Funken, der, zwischen Künstler und Publikum funktionierend, oft schon beim Erscheinen hochflutet, manchmal gar nicht zu Stande zu bringen ist, hängt Glut und Wirkung der Farben ab, die wir unsern Gemälden aufdrücken.

Kein Künstler sollte sich dadurch verleiten lassen, mehr zu geben, als das künstlerische Maß erlaubt sei es, die Begeisterung erhöhen oder überhaupt Stimmung hinein bringen zu wollen, weil die elektrische Verbindung sich nicht erzwingen lässt. Oft stellt sich sehr bald beiderseits eine beruhigende Empfindung ein, deren Wirkung eine ebenso große, wenn auch weniger eklatante sein kann. Oft auch übt ein ruhig, lautloses Einverständnis zwischen Sänger und Publikum eine faszinierende Macht auf beide aus, die nur durch gänzliche Hingabe an das Werk und rücksichtsloses Entsagen auf lauten Beifall erobert werden kann.

Mir ist's meinetwegen gleichgültig, ob das Publikum rast, ob es still und andächtig lauscht, denn ich gebe nur wieder, was ich übernahm. Habe ich meine Individualität, mein Können, meine Liebe für das Werk in die Rolle, ein Lied gelegt, das offenkundig bebeifallt wird, so lehne ich den persönlichen Dank dafür ab, und betrachte den Beifall als dem Meister zugehörig, dessen Werk ich interpretierte. Ist es mir gelungen, ihn dem Publikum verständlich zu machen, so ist der Lohn dafür darin enthalten, und mehr verlange ich nicht.

Was in der verständnisvollen Wiedergabe eines Kunstwerkes für Talent und Studium steckt, davon macht sich das Publikum doch keinen Begriff. Das versteht nur der, dessen Leben denselben Idealen gewidmet ist. Die nachhaltige Empfindung dieses einen, oder auch eines Teils des Publikums, ist mehr wert als lauter Beifallssturm, der so vielen zu teil wird.

Aller Beifall der Welt kann mir die Opfer nicht bezahlen, die ich der Kunst gebracht; und kein Beifall der Welt ist im Stande, mich über die eigene Unzufriedenheit hinwegzutäuschen, die mir das Misslingen eines einzigen Tons oder Ausdrucks zu geben vermag.

Was mir schlecht erscheint, weil ich die größten Ansprüche an mich stelle, erscheint vielen andren noch gut genug. Der Meinung bin ich aber nicht. Das Beste ist nur immer gut genug für jedes Publikum, sobald es sich um die Kunst handelt. Ist das Publikum ungebildet, so muss man es mit dem Besten bekannt machen, es erziehen, es das Beste verstehen lehren. Das naive Empfinden ist beim ungebildeten - d.h. unverdorbenen Publikum am stärksten vorhanden, und oft mehr wert, als alle Bildung. Das gebildete Publikum sollte sich nur das Beste bieten lassen, über Schlechtes und Mittelmäßiges rücksichtslos den Stab brechen.

Der Künstler hat die Aufgabe, das Publikum durch Darbietungen seiner besten, wohlvorbereiteten Leistungen zu erziehen, zu veredeln und sollte ohne Rücksicht auf den schlechten Geschmack desselben seine Mission vollbringen.

Das Publikum dagegen soll die Kunst nicht als Modesache oder Auslagekasten seiner Kleider betrachten, sondern als tiefen, wahren Genuss empfinden und alles tun, des Künstlers Streben zu unterstützen.

Das Zuspätkommen in Theater und Konzertsälen ist eine Unart, die gar nicht genügend gerügt werden kann. Ebenso das Zufrühefortlaufen an unpassenden Stellen, oder Fächerwedeln, das Künstler und Nebenbeisitzende unruhig macht. Das alles sollten gebildete Menschen unterlassen.

Künstler, die ihr ganzes Wesen auf dasjenige Bild ihres Innern konzentrieren, das sie im vollen Ausdruck wiederzugeben wünschen, dürfen weder beunruhigt noch gestört werden.

Hingegen sollten Theateraufführungen und Konzerte besonders in Zeit und Vorführungen begrenzt sein; dem Publikum lieber eine einzige Sinfonie geboten werden, eine kleine Partie Lieder oder Vorträge, die es, andächtig lauschend, wirklich in sich aufnehmen kann, als ihm zwei bis drei Stunden schwere Musik zuzumuten, die weder der Zuhörer mit der notwendigen Andacht, noch der Musiker mit der notwendigen Konzentration ausüben kann.

(2) [von Wolfgang Amadeus Mozart] Weil aber die Leidenschaften, heftig oder nicht, niemals bis zum Ekel ausgedrückt sein müssen, und die Musik, auch in der schaudervollsten Lage, das Ohr niemals beleidigen, sondern doch dabei vergnügen muss, folglich allzeit Musik bleiben muss...

 

Aussprache (1) [von Lilli Lehmann] Von der Aussprache und von den Konsonanten. - Zweifellos eignet sich die italienische Sprache mit ihrem Vokalreichtum besser zum Gesang als die konsonantenreiche deutsche Sprache oder irgendeine andere. Stimm- und Sprechapparat sind im Italienischen weniger heftigem Formwechsel ausgesetzt. Die vielen Vokale sichern dem Sänger eine bequeme Klangverbindung, während das schlechte Aussprechen der vielen harten Konsonanten jede Form- und Tonverbindung unterbricht. Jeder aber, der sich Künstler nennt, sollte jede gangbare Sprache gut aussprechen und singen lernen. Das Ineinanderschieben und Verbinden mehrerer Vokale in den verschiedenen Vokalformen auf einzelnen Tönen ist ein Studium für sich und heißt nicht ohne Doppelsinn: Vokalkunst. Die geeignetste Übung dafür ist, wenn man jedem Vokal ein „j" vorsetzt und bei jedem nächsten ein neues „j" vorschiebt, so dass „j" eine Formverbindung und gleichzeitig eine Muskelgymnastik für den Stimmapparat ergibt. Z.B.: jijejujajojöjü.

Man singt erst ein bis zwei Töne und Silben ganz langsam in einem Atem, um jede Vibration, Zungen- und Gaumenstellung dabei beobachten zu lernen, nach und nach erst eine dritte und vierte Silbe dazu. Das „j" wird so langsam mit der Zunge gearbeitet, dass es einer langen Silbe allein gleicht.

Wenn wir bedenken, dass viele deutsche Worte anstatt der vielen Vokale ebenso viele Konsonanten mit sich führen, wie z.B. „Sprung", „Strauch", „bringst", „Herbst", „schweifst", „brauchst" usw., die alle auf einen einzelnen Ton ausgesprochen werden und klingen sollen, so müssen wir uns eine große Geschicklichkeit des Stimmapparats resp. seiner Organe, wie: Zunge, Kehlkopf, Gaumen, Lippen, Nase, Brust und Zwerchfellmuskeln zu eigen machen, um auch nur annähernd solch starken Anforderungen entsprechen zu können. Wir müssen uns vorerst darüber klar zu werden suchen, dass jeder Buchstabe seine eigene Form beansprucht, dass jede Organverbindung von einem Buchstaben oder Ton zum anderen wieder eine neue Form zu schaffen hat. Vielleicht sagt man hierbei besser: eine neue Qualität der Form oder des Tones. Um das zu ermöglichen, muss jede bestehende Form in ihrer Konzentration erst wieder auf „j" ausgelöst werden - das die Form auseinander zu fallen hindert - ehe man eine neue, d.h. eine in veränderter Lage neuzuschaffende umsetzen kann; gleichviel ob Ton, Vokal, Konsonant oder ein ganzes Wort verändert werden sollen. Jeder der drei erstgenannten Formwechsel hat seine besondere Eigenschaft. Fallen mehrere von ihnen zusammen, machen sie den Wechsel doppelt schwierig.

Dunkle Vokale sind als konkave, helle Vokale geradlinig, Konsonanten als Konvexbewegung zu denken.

Alle Vokale, alle Konsonanten bedürfen der Hilfsvokale. Ein Vokal allein ist in seinen feinsten Klangfarben immer ein Ding der Unmöglichkeit. Die hellen „e", „i" würden spitz oder nicht kräftig genug, die dunkeln „u", „o" hohl klingen, wenn nicht ein Gemisch von dunkel, resp. hell, was in diesem Falle etwas Körperlichem oder Kernigem gleichkommt, beigemischt würde.

Wie wir sehen, wird der Vokal „a" von drei anderen Vokalen: „i", „e", „u", zusammengestellt. Diese drei mit einem „j" verbundenen Vokale umspannen einen kleinen Kreis, in welchem sich die drei betreffenden Hilfsvokale in einen vierten umsetzen. Dem Geschmack des Sängers bleibt es überlassen, ihn durch mehr „i" heller, durch mehr „e" kräftiger, durch mehr „u" dunkler und gedeckter zu färben. Das „i" an der Nase gibt die Tonhöhe; die „e"-Stellung von der Zunge setzt sich in Kraft des Kehlkopfs und seiner vielen Muskeln und Knorpeln um; das „u" hebt den Zungenrücken gegen den Gaumen, deckt also gleichzeitig den Ton gegen die Nase, und gibt ihm die sonore Tiefe, deren jeder vollkommene Ton bedarf. Durch u wird der Kehlkopf weich und tief gestellt und zum Umstellen der Formen vorbereitet.

Um extreme Klänge von hellen zu dunkeln Vokalen oder umgekehrt zu vermeiden, muss man beider Formen im Wort einander möglichst nahebringen, d.h. die Vokale färben oder mischen; je nach Wärme und Charakter des Wortes, das man singt. Da Konsonanten aber jede Vokalform zusammenpressen und damit alle Tonverbindung abschneiden, sind wir gezwungen, nach einem Mittel zu suchen, Klang- und Tonverbindung zu unterhalten. Es besteht darin, dass wir fast alle Konsonanten in der e-Form sprechen, während des Aussprechens mehrfach Konkav- und Konvexstellungen wechseln und damit eine Art Wellenbewegung schaffen, in welcher der Konsonant mehrfach mit Vokalen wiederklingen kann. Bei r ist es am auffälligsten, aber auch s, m, l, d haben, wenngleich auf verschiedene Art gesprochen - alle Hilfsvokale vonnöten. Während mehrere Vokale stets für einen zusammengestellt sind und klingen müssen, werden Konsonanten also erst langsam, während der Aussprache, durch weiche Gegenbewegungen von Kehlkopf, Zunge und Gaumen, Brust und Zwerchfell, hervorgebracht. Sie nehmen beim Entstehen, schon bei der Vorbereitung und dem Zugehörgelangen, eine beträchtliche Zeit in Anspruch, weil sie doppelte Arbeit erfordern, um klingen zu können. Es ist also das gerade Gegenteil von dem, was die meisten Sänger und Schüler unter scharfer, korrekter Aussprache verstehen oder zu tun gewöhnt sind, indem sie Konsonanten hart, tonlos und schnell sprechen, ohne sie vorzubereiten und ohne sie zu lösen.

Bei den meisten Konsonanten handelt es sich um die Vokalform „e", in der sie eingestellt und gesprochen werden, weil der Vokal „e" fast durchweg vor und meist auch beim Schließen des Wortes auf Konsonanten, also am Ende direkt ausgesprochen, resp. als Nachklang gebraucht wird.

Handelt es sich beim Aussprechen auch noch um Tonhöhen, so genügt das „e" der Notenlinie, wie ich sie unterstrichen habe, nicht einmal, sondern es muss zu dem „e" noch ein „i" über die Nase gelangen, das „e also erhöht werden. Vor- und Endsilben wie verraten, verleugnen, zertrümmern usw. erhalten noch eine Deckung von u oder ö, indem man sie so behandelt, als seien sie ohne e geschrieben. Sie stechen dadurch nebensächlich ab von der Hauptsilbe, die, im Rezitativ besonders, gar nicht lang genug gehalten werden kann.

Wir sehen, wie die modifizierte konkave Vokalform trotz aller Widerspenstigkeit, die die Konsonanten dem Stimmapparat des Sprechers oder Sängers zuzufügen bereit sind, Sieger bleiben. Sieger bleiben müssen, insofern ihre Deutlichkeit nur durch Mitklänge von hellen Vokalen „e", „i", öfter auch von u oder ö erreichbar ist.

Die e-Stellung der Zunge fordert aller Gesang, und alle Konsonanten insbesondere.

Man wird mir sagen, dass das natürlich sei. Ja, aber kein Sänger lässt sich bewußt die Zeit, die beiden so verschiedenen Bewegungen und Gegenbewegungen: wie umfassenden Vokal- und Konsonantenformen, durch Erweichen sämtlicher Organmuskeln vorzubereiten, aufzulösen, auszulösen, kurz: es lässt sich niemand die Zeit dazu, jedem Buchstaben seinen Klang, sein Recht einzuräumen.

Hier aber tritt uns eine zweite Kunst entgegen, die wir getrost die Konsonantenkunst nennen dürfen. Grundverschieden von der Vokalkunst und doch an sie gebunden, stellt sie dem Sänger die schwierigste Aufgabe in der Gesangskunst überhaupt, mit der die meisten Sänger zeitlebens kämpfen, ohne zu wissen, was sie eigentlich bekämpfen sollen. In der Aussprache der Vokale suchen sie meist die Ursache, oder im Ansatz und Atem. Nicht der Vokal, den sie eben halten, sondern der vorhergegangene oder der kommende Konsonant ist meist die Schuld am Festkneifen der Form, das dem Fortklingen des Tons hinderlich ist. An der Ungelenkigkeit von Zungen- resp. Kehlkopfmuskeln beim Aussprechen gehen viele Sänger mit der Zeit zugrunde. Da sich Gesangskunst vornehmlich auf Tonschönheit aufbaut, so sollte es jedes Sängers Bestreben sein, die Tonschönheit durch geschickte, weiche Aussprache (ohne der Deutlichkeit ihr Recht zu verkümmern) so wenig als möglich zu alterieren.

Nicht nur Wort und Silbe, die in einer für den im Worte vorherrschenden Vokal besonders gestellten Form gesungen und ausgesprochen werden, sondern jeder Buchstabe macht Formveränderungen notwendig. Ein Buchstabe gefährdet also den andern, jeder Buchstabe die Tonschönheit, jeder Konsonant jeden Vokal, eine Form die andere, in der gesprochen resp. gesungen werden soll. Tonruhe, Schönheit, Höhe, Tiefe, Stärke und Weichheit von Ton und Wort laufen fortwährend Gefahr, alteriert und aus ihrem Geleise geworfen zu werden.

Um Formwechsel auszugleichen, bedarf es der fortwährenden Teilnahme aller derer Hilfsvokale, die den Ton erhöhen, die Form, d.h. Zunge und Gaumen, empor zu stellen vermögen. Also „e" und „i" hauptsächlich. Jeder Vokal kann allenthalben Hilfsvokal sein, je nach den Ansprüchen der Tonschönheit. An einem bildlichen Beispiel werden wir besser sehen, welche Revolution der Buchstabenwechsel in der Form des vollkommenen Tones anzustreben bemüht ist, wie der Sänger oder Sprecher seine ganze Aufmerksamkeit auf den Formwechsel, resp. die Formerhaltung beim Aussprechen jeden Buchstabens konzentrieren muss, um Herr des Wohlklangs seiner Stimme zu bleiben. Kein Buchstabe, keine Silbe sollte schlecht ausgesprochen vom Lehrer unkorrigiert durchgehen dürfen, so lange, bis ein Buchstabe, eine Silbe, ein Wort mit dem andern durch Wohlklang verbunden wären.

Wie oft von mir erwähnt, haben wir sowohl in der Pädagogik der Gesangskunst als in der Ausübung des Sängerberufs mit falschen Benennungen aufzuräumen; Benennungen, die falsche Begriffe bei Lehrer und Sänger erzeugen. Z.B.: vom Atem, auf den seit Jahrzehnten fast einzig alle Aufmerksamkeit gelenkt und dadurch von der Form für den Atem ganz abgelenkt wurde. Der vom Schüler falsch verstandene Begriff des„Atemstauens" deckt sich ihm mit dem Bau eines Wasserkanals ohne Auslauf, in dem sich alles Wasser nur stauen, aber nicht verlaufen kann, während der Atem doch immer auf einem Umweg dem Munde entströmen muss. Man hatte sich gewöhnt, den Atem als einzige Ursache eines schlechten oder guten Tones anzusehen. Daher rührt der ewige Atemdruck, mittels dessen so viele Sänger ihre Töne produzieren und ihre Stimmen auch zugrunde richten, während Ton und Tonkraft nur durch Muskelstreckung und weichste Spannung der Stimmorgane zu- und ineinander entstehen darf. Um solchem Fehler zu steuern, wird es sich empfehlen, das Mitarbeiten des Zwerchfells vorerst ganz aus dem Spiel zu lassen, die ganze Aufmerksamkeit einzig allein auf die Form, d.h. Stellungnahme von Nase, Gaumen, Kehlkopf und Zunge zueinander zu lenken, und erst nach und nach die Aufmerksamkeit auf die feine, d.h. weiche und lenkbare Mitarbeit des Zwerchfells weiter zu erstrecken, nachdem die Formgebung sich zur Gewohnheit ausgebildet hat.

Vom Ansatz, den der eine in der Nase, der andere im Kehlkopf, ein dritter im Bauch, ein vierter im Gehirn usw. sucht. Als ob der Ansatz eines Tones von einem einzigen Punkt abhinge! (Siehe Artikel: Ansatz und Vokale.)

Atemdruck und Festhalten des Zwerchfells, welche den sich lösenden oberen Organen entgegenarbeiten, jeder vom Zwerchfell ausgeführte Gegendruck gegen diese, sind grobe Fehler. Ebenso schlimm ist's, wenn Sänger, anstatt durch ihre an- und ineinandergreifenden Muskel, welche die ganze Form zusammenfassen und halten, den Ton, d.h. den klingenden Atem, formlosen, d.h. ungespannten Organen preisgeben, was beim piano-Singen so oft fälschlich geschieht. Anstatt die ganze Form ineinander zu erweichen, lassen sie entweder das Zwerchfell ganz los und halten die oberen Organe fest, oder sie halten den Atem fest, anstatt ihn weich fließen zu lassen, und lösen die oberen Organe von der Verbindung mit dem Zwerchfell, die dann haltlos hin und her wackeln, Tremolo und Unsicherheit erzeugen. Ich habe schon erlebt, dass ein einziger so formlos gelassener Atem resp. Ton dem Sänger den ganzen Abend verdarb. Weil er sich plötzlich jeden Haltes beraubt sah, glaubte er sich plötzlich indisponiert und konnte nicht zu Ende singen. Unheilvolle Unkenntnis, traurige Künstlerschaft! Der schwächste sowie der stärkste Ton, den der Sänger hervorzubringen vermag, hängt nur von der Energie des kundigen Sängers, der größeren oder kleineren Streck- und Spannkraft sämtlicher Organmuskeln in- und untereinander ab. Diese Spannungen erstrecken sich von der Nase, den Schläfen, über den Kehlkopf und die Brustmuskeln bis zum Zwerchfell hinunter. Bei bestimmten Höhen sind Nase und Zwerchfell die Pole, von wo aus die Spannung von einem zum andern wie die Saite einer Harfe gespannt erscheint. Ohne diese Spannung ist kein fester ruhiger Ton zu denken. Sie wird natürlich schwächer und weicher, je tiefer man mit der Stimmlage geht und gespannter, je höher man singen will.

In dieser Form, deren Pole gegeneinander gespannt sind, spielt sich alles ab, was die dazwischenliegenden Organe, wie Kehlkopf und Zunge, die gleichfalls in genauer Spannung dazu stehen müssen, zur Aussprache oder zum Weiterschreiten der Stimmlagen nach oben oder unten zu tun haben. Wie subtil diese Arbeit geschehen muss, kann nur derjenige begreifen, dessen Gehör so fein gebildet ist, dass er jede Tonunterbrechung, durch schlechte Zungen- oder Kehlkopfbewegung, Festhalten des Zwerchfells oder des weichen Gaumens, Auslassen der Spannungen zu- und untereinander zu hören im Stande ist; der sich durch Jahre hindurch bemüht hat, die Tonverbindung, entgegen allen Schwierigkeiten der Sprache, schlechten oder unvorsichtigen Gewohnheiten, so zu schaffen, dass sie möglichst ununterbrochen weiterklingt. Da heißt es moderieren; alle Organe weich und dennoch kräftig zusammenhalten, keinem ein „sich breit machen" zu gestatten und alles zu vermeiden, was an Formlosigkeit streifen könnte. Das Mitarbeiten der Brustmuskeln - auch eine Spannung -, das ich fast mit einem äußerlichen Gefühl bezeichnen möchte, gleicht den Hilfsvokalen. Wir können uns ihrer in den höheren und höchsten Tonlagen bedienen, sobald die Bruststimme mitklingen, also ein vollkommener Ton - oder auch ein möglichst vollkommener Ton erklingen soll, und entlasten auf diese Art den Kehlkopf, der nun eine Waage bildet, fast gänzlich, d.h. die Knorpel des Kehlkopfes brauchen die Höherstellung nicht so fest zu markieren, dass sie allein die Kraft geben. Die Knorpel werden aufgelöst oder unterstützt von den äußerlich zu fühlenden Brustmuskeln.

Zu diesen äußerlich zu fühlenden Brustmuskeln treten noch äußere Halsmuskeln, die sich vom Ohr den Hals herunter erstrecken und nach der Brust zu verlieren. Ich habe dabei das Gefühl, als hängen an meinen Schläfen Hals und Kehlkopf und mit ihnen der Ton, den ich nach oben und unten gleichzeitig gegeneinander strecke.

Wir sehen hier ungefähr, was uns alles zu Gebote steht, und dass nur durch bewusste Kenntnis unserer Stellungen, die mit dem Gehör eins sein müssen, eine dauernde Gesangskunst und eine dauernde Stimme in den Grenzen, die uns Menschen allen gestellt sind, erarbeitet werden können. Das Zusammenarbeiten und Ineinandergreifen sämtlicher Muskeln, Bänder, Sehnen und Nerven zu ein er beweglichen weichen, verschiebbaren und unzersprengbaren Form für den Atem. - Manchem ist von Natur viel mitgegeben. Alle echten Künstler haben aber an den Naturgaben gearbeitet und sie in künstlerische Bahnen gelenkt. Wir brauchen nur Jos. Kainz anzusehen, dessen Muskelspannkraft und Elastizität bewundernswert sind, an dessen Atemtechnik jeder Sänger lernen könnte. Technik mit soviel Geist gepaart wie hier, gewährt einen Hochgenuss. Und sicherlich hat er diese Technik nur durch ein sehr ernstes Studium sich aneignen können; vielleicht gar durch die Erkenntnis, dass ohne Technik eine dauernde Künstlerschaft unmöglich ist. - Auch bei dem Konzertsänger Meschaert kann man die auffallende Elastizität von Kehlkopf und Gaumen gut heraushören, die mich an seinem wundervollen Gesang geradezu entzückte.

Bewusst oder unbewusst gekonnt, bleibt die Technik der Kunst eine Notwendigkeit für den Künstler selbst, wie es ohne Technik eben keine Kunst gibt. - Ist es nicht eine herrliche Aufgabe, sich durch bewusstes Können eine auserlesene Stellung in der Kunst zu sichern? Sich ein schönes Organ durch Studium zu erobern, oder, falls ein solches von Natur vorhanden, es sich bis an sein Lebensende zu erhalten?

Die Sänger haben sich gewöhnt, Worte in derselben Richtung auszusprechen, wie sie sie geschrieben sehen, d.h. von links nach rechts, von vorn nach hinten; auch das gibt einen falschen Begriff für die Aussprache in der Gesangskunst. Man singt künstlerisch die Worte nicht, wie sie die meisten im gewöhnlichen Leben auszusprechen gewöhnt sind; nicht gradlinig, sondern der Notenhöhe und -Tiefe angemessen, am Rachen quasi anfangend und Buchstaben für Buchstaben vor den letztgesprochenen schiebend. Selbst nur wenige Künstler haben davon einen bewussten, klaren Begriff. Wie selten spricht jemand wohlklingend; und wohlklingend sprechen, heißt doch: auf Vokalformen Worte fortwährend untereinander zu verbinden.

Gar vielen deutsch Sprechenden und Singenden bleiben bei allen Konsonanten und bei Endkonsonanten ganz besonders Zungenrücken und -wurzel steif im Halse stecken. Niemand denkt daran, - der nicht zufällig weich von Natur spricht, - vor und nach jedem Konsonanten die Form aufzulösen, neue Vokalformen für die hinzuzufügenden Hilfsvokale zu schaffen, die dem Konsonanten erst zum Klang und zum Verständnis verhelfen. Natürlich sind das nur Nachklänge und keine Vokalsilben.

„K”, „p" und „t" sind tonlose Konsonanten und werden vom Sänger in stummer Form vorbereitet. Bei Doppelkonsonanten, z.B. in Himmel, Anna, Elle usw., wird der erste Konsonant ebenfalls tonlos gehalten, und erst der zweite klingend ausgesprochen. Alle anderen werden durch Hilfsvokale zum An- und Aussprechen erst deutlich und sangbar gemacht. Diese Endform dient dann gleichzeitig - auch wenn dazwischen geatmet würde - als Vorbereitungsform für das nächstzusprechende Wort, den nächstzusingenden Ton. Um die Elastizität, Tonerzeuger und Tonträger ist's schnell geschehen, sobald Zunge und Zungenwurzel, harte, krampfhafte Muskelbewegungen in die Form zwingen anstatt elastischer. Härte des Stimmapparates kann aber von jedem einzelnen Organ erzeugt werden und teilt sich allen anderen Organen von oben nach unten und umgekehrt sehr schnell mit, sobald sie nur einigermaßen miteinander verbunden sind. Schild- und Ringknorpel, die beiden so wichtigen Kraftspender, werden bei solchen Gelegenheiten klammerfest gestellt, die alles, was mit ihnen zusammenhängt, unbeweglich machen. Und gerade die Kraft des Tons, die durch Einstellung des Kehlkopfs (in die i- und u-Spannung) vermittels des e-Vokals in die Erscheinung tritt, deren Mitarbeiter Ring- und Schildknorpel bilden (bei höheren und höchsten voixmixte-Tönen ganz besonders), darf nur auf elastischem Wege zu Stande kommen. Magnetisch müssen sich die Knorpel aneinanderlegen, elastisch festgehalten werden und elastisch ihre Kraft sich wieder voneinander loslösen. Sobald Zunge oder Zungenwurzel durch Steifheit oder Krampf die elastische Tätigkeit der Knorpel verhindern, ballen sich sämtliche Kehlkopfmuskel im Krampf zusammen und dann ist Sänger oder Sprecher im Augenblick verloren.

Ich kann das Gefühl dieser magnetisch elastischen Kraft nur mit zwei feinen Magnetnadeln vergleichen - oder zweien langsam arbeitenden Bolzen einer Maschine - die es treibt, sich bis zu einem bestimmten Punkte einander zu nähern, die sich aber nie berühren dürfen noch können, die trotz ihrer Anziehungskraft wieder zurückstreben. So bildet die Einstellung des Vokals e durch den Kehlkopf - der nun zwischen zwei magnetischen Polen nach der Einstellung steht, die Waage der Kraft, darauf der Ton schwebend erhalten wird.

Allzu scharfe Aussprache, insbesondere der Konsonanten, zerreißt jede Tonverbindung, Ton- und Fortpflanzungsform. Was aber ist Gesang ohne Formverbindung von Ton und Wort?

Und auf die Bindung kommt es beim Gesang doch ganz besonders an. Es kann z.B. in einer Skala jeder einzelne Ton ganz richtig, die Verbindung von einem zum anderen ganz falsch sein. Das Unrichtige kommt daher, dass die Form des eben beendeten Tones nicht vollständig erweicht, bis auf die Zusammenspannung der Organe untereinander aufgelöst war, ehe die nächste für den nächsten Ton vorbereitet, d.h. eingestellt wurde. Der feine Sänger muss diese Auslösungs- und Verbindungsarbeit hören lernen. Zum Fertigstellen zweier Töne gehören also schon vier verschiedene und dennoch ineinander gebundene Formen. Die Übergangsform von einem zum anderen klingt natürlich nicht mit und dennoch fehlt den beiden Tönen in der Skala ein wichtiger Faktor, wenn sie nicht da ist, den ich z.B. nicht nur höre, sondern auch deutlich mitempfinde. Die Bindungsform ist also eine Zwischenform für einen stummen Zwischenklang, sie liegt zwischen zwei verschiedenen Tönen oder Buchstaben an der Nase. Sie vollzieht sich hauptsächlich durch Erweichen von Zwerchfell und Kehlkopf, das sich auf die ganze Form alsbald erstreckt und den Atemstrom verringert Erst wenn dieser Prozess sich vollständig vollzogen hat, der einer Auflösung für die eine Tonform entspricht, werden die vollständigen in- und aneinander gespannten Organe, die so zusammengehalten den Stimmapparat ausmachen, den ganzen Weg für den zweiten Ton nach der Höhe hinauf, nach der Tiefe hinab zurecht geschoben, ohne die Hauptform und den Atemstrom zu unterbrechen, denn dieser wird in der sich weiter bewegenden Form an denjenigen Platz geführt, dessen Stellung derjenigen Tonhöhe oder -Tiefe entspricht, die wir zu singen gedenken. Gedanke, Gehör und Stellung müssen natürlich eins sein! - Diese sich bewegende Zwischenform ist die Bindung von einem zum anderen Ton, und - wie wir später sehen werden - durch Worte nur noch komplizierter! Ohne diese ewige Bindung beim Gesang keine Kantilene und keine Gesangskunst! - Die Aussprache der Konsonanten bedingt allerdings eine gewisse Schärfe, die aber nicht durch krampfhafte Härte der Organe oder durch Herausstoßen der Konsonanten selber zustande kommt. Im Gegenteil müssen die Vorbereitungen in sehr weicher Vokalform, gleichviel ob es sich um stumme oder klingende Konsonanten handelt, stattfinden, damit der Weg von Vokal zum Konsonant und umgekehrt klangbar erhalten bleibt und den Atemstrom nicht unterbricht.

Tonlose Konsonanten „k", „p", „t" werden also stumm, aber weich vorbereitet. Lippenlaute wie „f" und „w", Sibi-Laute „s", „sch", „z", Hauchlaute wie „ch", „ph", „v", gleichviel ob mit Lippen und Oberzähnen, zusammengelegtem Zungenrücken und Gaumen, mit Zungenspitze und vorgestreckter Unterlippe oder sonstwie, werden alle in ihrer Eigentümlichkeit sehr langsam hörbar gemacht, wenn man es auch nicht gerade klingend nennen kann, und fast alle auf weicher „e"-Form.

Nach jeder Konsonantenpause, die zum Verständnis sowohl als zur Vorbereitung dient, muss dann der betreffende Buchstabe wie „k", „p", „t" sehr scharf und kurz ausgesprochen werden.

Jeder Buchstabe, Vokal oder Konsonant, beansprucht also nicht nur eine eigene bestimmte Form, Zwischenform und Stellung zur Höhenlage - unter Stellung kann man das „e" als konzentrierte Kraftlinie verstehen - sondern modifiziert diese eigene Form immerwährend durch Hinzustellen anderer Vokale, welche die Form erweichen, erhöhen, ausbreiten, verengen, resp. die Tonqualität verändern. Je nach Tonhöhe, Intervall oder Ausdruck schweift sie - ohne die Notenlinie, den Tonkern, d.h. die Tonreinheit zu alterieren - und jeder Ton kann je nach der Harmonie, zu der er passt, ganz verschiedene Höhen beanspruchen - von einem zum anderen, je nach Bedingung des zu sprechenden Wortes oder der zu singenden Note.

Die notwendigen Formveränderungen durch die Verbindungsformen so bequem als möglich für den Apparat, so vorteilhaft als möglich für die Tonhöhe und so unauffallend für das Gehör der Zuhörer einzurichten, ist das große Kunststück der Gesangskunst. Wer beim Studium dieses schwersten Kunststückes schnelle Fortschritte erwartet, wird der Gesangskunst niemals Herr werden. Der Schwierigkeiten dabei gibt's so unendlich viele zu überwinden - soviel Worte in allen Sprachen und so viele Komplikationen in sprachlichen Satzstellungen existieren -, dass man zeitlebens daran zu arbeiten hat.

Unkundige, Ungeschickte oder Unachtsame werden beim schnellen Formwechsel ihre Organe leicht krampfen. Ist erst eine Gewohnheit daraus geworden, so ist der Sänger geradezu bedauernswert, denn sein Beruf, der so herrlich sein kann, wird ihm dann zur Qual. Um das zu vermeiden, muss der Sänger seinen Stimmapparat mit vollstem Bewusstsein kennen und gebrauchen lernen, sich seiner Geschicklichkeit durch bewusstes Studium versichern. Man lernt die ungewohnten Funktionen anfänglich am besten durch starke Übertreibung kennen, die man nach Erkenntnis und Erlernung der Technik wieder abschwächen und in weiche Muskelbewegungen und Spannungen umgestalten muss, um sie schließlich zu einem maschinenartig arbeitenden harmonischen Ganzen zu verbinden. Der Apparat muss weich, elastisch in jeder Bewegung und Gegenbewegung, dem ihn energisch Regierenden gehorchen.

Seit Richard Wagner seinen Einfluss geltend machte, sind die meisten Sänger bemüht, die Konsonanten übermäßig deutlich und mit ihnen oft das ganze Wort scharf und hart, unschön und klanglos herauszuwerfen, man kann die Endkonsonanten im Raum herumfliegen hören.

Ist auch die Deutlichkeit der Aussprache notwendig und wünschenswert, die Mittel der Bayreuther Schule waren gänzlich verfehlt. Unbewusst, im guten Glauben lehrend, begingen die dortigen Lehrer an der Gesangskunst ein großes Unrecht.

Zwischen deutlich, scharf und hart - was gewöhnlich für gleichbedeutend genommen wird - sind aber kolossale Unterschiede.

Zunge und Zungenwurzel sind bei harter Aussprache der Konsonanten immer die größten Übeltäter. Sie krampfen dem Sänger den ganzen Stimmapparat zusammen, und schon die Nähe eines Konsonanten macht oft das ganze Wort unmöglich. Wie unglücklich müssen sich Künstler fühlen, die, wenn sie sich solcher Hindernisse bewusst werden, nach allen möglichen Ursachen suchen, ohne der Wahrheit auf die Spur kommen zu können. Nur weil die Ursache lange vor der Wirkung begonnen hat. Man muss eben darauf sehen, lange schon bevor ein Konsonant gedacht wird, die Zunge weich vorzubereiten und sie auch trotz aller Schärfe eines oder des andern Konsonanten, während des Sprechens weich zu erhalten.

Es bedarf eines sehr fein gebildeten Gehörs, das Krampfhafte der Konsonantenaussprache an andern oder gar an uns selbst zu entdecken. Sind wir ihm aber auf die Spur gekommen (d.h. unserer Zunge), fallen uns die Schuppen von den Augen, und wir dürfen nun getrost ein neues, langwieriges Studium beginnen, das unser ganzes Interesse in Anspruch zu nehmen berechtigt ist.

(2) [von Marin Mersenne, 1636] Eine der größten Vollkommenheiten des Gesangs besteht in der guten Aussprache der Worte und in einer so deutlichen Wiedergabe, dass auch nicht eine einzige Silbe davon verloren geht. Das bemerkt man im Vortrage Baillif's, der sehr deutlich ausspricht und alle Silben erklingen lässt, während sie die meisten in der Kehle ersticken und so stark zwischen Zunge, Zähnen und Lippen pressen, dass man fast nichts hört, was sie vortragen - sei es, weil sie nicht genug den Mund öffnen, oder die Zunge nicht so bewegen, wie es sein muss. Darauf müssen die Meister Fleiß verwenden, damit die Pagen oder andere Kinder, die vor dem König oder in den Kirchen singen müssen, ebenso gut beim Singen aussprechen, als wenn sie einfach redeten und ihr Vortrag dieselbe Wirkung habe wie eine gut gesprochene Rede.

(3) [von Burja, 1803] Die Deutlichkeit der Aussprache ist für den Gesang von der höchsten Wichtigkeit. Ein Sänger, der sie nicht besitzt, versetzt seine Zuhörer in eine peinliche Lage und vernichtet ihnen durch die beständige Anstrengung den Sinn der Worte zu erfassen, beinahe die ganze Wirkung des Gesanges.

(4) [von Tosi, 1723] Der Meister sei besorgt, dass der Untergebene die Worte auf so eine Art ausspreche, dass sie, ohne einige Affektation, so deutlich vernommen werden können, dass man auch nicht eine Silbe verliert. Denn wenn man die Worte nicht verstehen kann, so beraubt der Sänger die Zuhörer eines großen Teils der Anmut, welche der Gesang von den Worten erhält. Wenn man die Worte nicht hört, so schließt der Sänger die Wahrheit von der Kunst aus. Wenn man endlich die Worte nicht versteht, so unterscheidet sich die Menschenstimme nicht von einem Zinken oder einer Oboe. Dieser Fehler, obgleich er sehr hässlich ist, so fehlt doch heutigentags sehr wenig daran, dass er nicht fast allgemein sei, zum merklichen Schaden der Sänger und der Singkunst. Man sollte doch wohl wissen, dass die Worte das einzige sind, welches Sängern vor Instrumentalisten einen Vorzug verschafft, wenn anders beide in ihrer Wissenschaft gleich stark sind. Der neumodische Meister mache sich diese Nachricht zu Nutze.

 

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