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Salieri [von Leopold Mozart] ... Dann wird noch eine opera buffa dazu gegeben: La Fiera di Venezia vom Salieri, die mir Wehe tut, weil sie in der Tat, was die Musik betrifft, voll der ausgepeitschtesten gemeinsten Gedanken, altväterisch, gezwungen und sehr leer an Harmonie ist: die einzigen Finale sind noch erträglich: die Materie des Stücks ist wie gewöhnlich eine erzdumme welsche Kinderei, wider allen gesunden Menschenverstand.

 

Satanella [Anonymus, ca. 1888] Oper von E. N. von Reznicek, am deutschen Landestheater in Prag mit großem Erfolg aufgeführt.

 

Schelble, Johann Nepomuk 1789-1837. u.a. Stimmbildner.

 

Schlusnus, Heinrich Wohl der bedeutendste deutsche Bariton des 20. Jahrhunderts. Schüler von Louis Bachner (dieser Schüler von Pol Plancon). Das für ihn in seinem Heimatort Braubach am Rhein eingerichtete Museum fiel der Brandstiftung zum Opfer. Eine CD-Gesamtausgabe seiner Aufnahmen ist im Handel erhältlich.

 

Scholaris Musicus [von M. H. Fuhrmann, 1706] Ein Beutelschneider war da ehrlicher als ein solcher Scholaris Musicus. Er kommentierte seinen Schülern die Musik. Er inculcierte ihnen die Vilosophiam Narrenstultelicam und eine Theologiam Acroamaticam seu terminiloquam, und damit seinen Schülern von so viel unzähligen mataeologischen und philosophischen Distinctionibus und Terminis den heißen Sommer durch die Würmer der Narrheit nicht spannenlang im Gehirn bei lebendigem Leibe wachsen möchten, ... Aber Orpheus mit seiner Leier durfte beileibe in diesem gelehrten Ensemble nicht erscheinen, der war so angenehm als ein Kruzifix in der Juden Synagoge, weil Arschtoteles (!) und die lateinischen und griechischen Poeten als die rechten Nos Poma (wie die Rossäpfel) allda oben anschwommen.

 

Schott, Anton 1846-1913. Anton Schott wurde ausgebildet durch Agnes Schebest-Strauss, diese wiederum durch Johann Aloys Miksch, der wiederum auf die Schule von Bologna zurückgeht, aus welcher beispielsweise auch der Kastrat Farinelli stammt. Weitere Schüler von Johann Aloys Miksch waren Heinrich Ferdinand Mannstein und Ferdinand Sieber.

 

Schreien (1) [von Wolfgang Amadeus Mozart] ... Und dann erst die Sänger und Sängerinnen - man sollte sie gar nicht so nennen, denn sie singen nicht, sondern sie schreien - heulen - und zwar aus vollem Halse, aus der Nase und Gurgel...

(2) [von Leopold Mozart] ... Mdme. Duscheck sang, wie? - ich kann mir nicht helfen! Sie schrie, oder schrie ganz erstaunlich eine Aria von Naumann mit übertriebener Expressionskraft, so wie damals, und noch ärger. - Lieber Himmel! mit so vielen anderen Singfehlern, dass es mir für ihre starke Stimme sehr leid tut, solche nicht besser brauchen zu können: allein wer ist die Ursache? - ihr Mann. Der es nicht besser versteht, und sie gelehrt hat, noch lehrt und ihr beibringt, dass sie allein den wahren Gusto habe.

(3) [von Wolfgang Caspar Printz] Ein Sänger soll nicht übermäßig schreien, wie die Dorfküster und Ackerstudenten, sondern zwar laut und mit ziemlicher Stärke, doch lieblich und anmutig singen.

(4) [von Wolfgang Caspar Printz] Es soll auch der Praefectus (Vorgesetzte des Chors) sonderlich Acht haben, dass keiner von den Sängern übermäßig schreie. Massen es nicht allein schändlich steht, wenn die Vokalisten das Maul so weit aufsperren, dass man mit einem Fuder Heu hineinfahren möchte, und so stark schreien, dass sie erschwarzen und die Augen verkehren wie ein gestochener Bock, sondern auch überaus hässlich lautet, und eher für ein Geschrei bezechter Bauern, oder heulender Hunde als eine zierliche Musik gehalten werden möchte.

 

Schröder-Devrient, Wilhelmine [von Richard Wagner] Dies war ein kurzes Gastspiel der Wilhelmine Schröder-Devrient, welche damals auf der vollsten Höhe ihrer Künstler-Laufbahn stand, jugendlich, schön und warm, wie nie seitdem auf der Bühne mir ein Weib erscheinen sollte. - Sie trat in "Fidelio" auf.

Wenn ich auf mein ganzes Leben zurückblicke, finde ich kaum ein Ereignis, welches ich diesem einen in Betreff seiner Einwirkung auf mich an die Seite stellen könnte. Wer sich der wunderbaren Frau aus dieser Periode ihres Lebens erinnert, muss in irgendeiner Weise die fast dämonische Wärme bezeugen können, welche die so menschlich-ekstatische Leistung dieser unvergleichlichen Künstlerin notwendig über ihn ausströmte. Nach der Vorstellung stürzte ich zu einem meiner Bekannten, um dort einen kurzen Brief aufzuschreiben, in welchem ich der großen Künstlerin bündig erklärte, dass von heute ab mein Leben seine Bedeutung erhalten habe, und wenn sie je dereinst in der Kunstwelt meinen Namen rühmlich genannt hören sollte, sie sich erinnern möge, dass sie an diesem Abend mich zu dem gemacht habe, was ich hiermit schwöre werden zu wollen. Diesen Brief gab ich im Hotel der Schröder-Devrient ab, und lief wie toll in die Nacht hinaus. Als ich im Jahre 1842 nach Dresden kam, um mit dem Rienzi zu debütieren, und nun mich oft im Hause der freundlich gewogenen Künstlerin aufhielt, überraschte sie mich eines Males durch treue Rezitation jenes Briefes, welcher auch auf sie Eindruck gemacht zu haben schien, da sie sich ihn wirklich aufbewahrt hatte.

Ich glaube jetzt erkennen zu müssen, dass eine große Verwirrung, welche nun auf längere Zeit in mein Leben, namentlich in meine Arbeiten eintrat, durch die übermäßige Erfüllt heit von dem Eindrucke dieser Kunsterscheinung veranlasst wurde. Ich wusste nicht, wie mir helfen, wie es beginnen, um selbst irgendetwas hervorzubringen, was in unmittelbarem Verhältnis zu dem empfangenen Eindruck stehen möchte; und alles, was nicht hierauf in Beziehung zu bringen war, erschien mir doch so schal und nichtig, dass ich mich unmöglich damit befassen mochte. Ich hätte mögen ein Werk schreiben, welches der Schröder-Devrient würdig gewesen wäre: da mir dies nun in keiner Weise möglich war, ließ ich in enthusiastischer Verzweiflung alles Kunststreben fahren, und da mich die Schul-Wissenschaft wahrlich auch nicht zu fesseln vermochte, überließ ich mich wie steuerlos dem unmittelbaren Leben, im Verkehre mit sonderbar gewählten Genossen, aller Art von Jugend-Ausschweifungen.

 

Schröpfer, Bern. Jul.  Organist und Chorleiter der Lukaskirche Dresden seit 1889.

 

Schrott, Erwin [von Maximilian Hörberg - 22.01.2009] Bariton. Stimme gut ausgebildet, singt mit Prävalenz, macht Vieles sehr schön. Es handelt sich jedoch um keinen Bass-Bariton, sondern vielmehr um einen hohen italienischen Bariton (Tenorbariton), der eine Höhe für Einlagetöne bis einschließlich des hohen A haben dürfte. Dies ist daran zu erkennen, dass ihm Töne, wie sie ein Cesare Siepi (ein richtiger Bass-Bariton) hatte, fehlen. Außerdem ist seiner Stimme anzuhören, dass sie in der Höhe weitergehen muss.

 

Schweinefleisch, Heinrich Konzertmeister des Gürzenich-Orchesters 1902-1922.

 

Schweinefleisch, Joh. Chr. Immanuel Orgelbauer, Leipzig, 18. Jh.

 

Schwellen der Töne [von Ferdinand Sieber] 1) Wie wird nun der richtig erzeugte Ton für alle Stärkegrade und Nüancen geschickt gemacht? Schon früher bemerkten wir, dass zur Bildung eines künstlerisch schönen Tones außer makelloser Intonation und dauernder Reinheit (sowie der Abwesenheit jedes unedlen Beiklanges) auch noch die Kunst gehöre, den Ton vom leisesten Piano beginnend mehr und mehr anwachsen, endlich bis zur möglichsten Kraft gelangen zu lassen, um ihn alsdann ebenso allmählich decrescendo ins verhallende pianissimo zurückzuführen. Solches Schwellen der Töne macht den höchsten Reiz des Gesanges aus, während es anderseits der Stimme erst ihre volle Entfaltung und Kraftentwickelung gestattet. Deshalb legten schon die alten italienischen Gesangmeister den größten Wert auf die Fertigkeit des An- und Abschwellens. 2) Hatten sie einen besondern Namen dafür? Sie bedienten sich des Ausdruckes: messa di voce für solche Nüancierung, und diese Bezeichnung ist noch heute für das Tonschwellen in Gebrauch. (Nicht mezza di voce, wie einige in der italienischen Sprache und Gesangskunst wenig bewanderte Theoretiker schreiben. Mezza voce heißt: halbe Stimme und bedeutet einfach ein feststehendes, zartes piano; mettere la voce - jene Kunst, die Pacchierotti als die Spitze des edlen Gesanges bezeichnet - heißt: die Stimme herausschicken, d.i. aus dem piano ins crescendo und forte usw. Von diesem Infinitiv mettere kommt das zum Substantiv gewordene Partizip messa (mit dem Zusatze:) di voce her. Es kann hierüber gar kein Zweifel obwalten.) 3) Wann muss die messa di voce geübt werden? Der Schüler darf erst dann ans Schwellen der Töne gehen, wenn er der einzelnen Stärkegrade, des piano, mezzoforte und forte mächtig geworden und fähig ist, einen Ton während seiner ganzen Dauer mit gleich viel oder gleich wenig Atem auszuhalten. 4) Welche Rolle spielt denn der Atem bei den verschiedenen Stärkgraden? Zum pianissimo und piano ist, selbst bei langer Dauer des Tones, ein ruhiger, in ganz kleinen Teilchen gleichmäßig ausfließender Atem genügend. Dieselbe Gleichmäßigkeit des Atemausgebens soll auch beim mezzoforte, forte und fortissimo stattfinden, nur dass der Atem bei solchen Stärkegraden in größerer Masse und mit stärkerem Impulse ausgetrieben wird. 5) Warum muss das Studium, jeden Ton (oder jede Reihe von Tönen) in gleichmäßigem piano oder forte auszuhalten, der Übung der messa di voce vorangegangen sein? Weil der Schüler auf diese Weise besser vorbereitet an das schwierige Studium der messa die voce herantritt. Die Spannung der Stimmbänder bleibt nämlich bei der Mischung der Stärkegrade nicht dieselbe, sie ist im leisen piano die größte, im fortissimo die geringste, indem hier die Kraft des Atems die nachlassende Muskeltätigkeit ersetzen muss. 6) Die Spannung der Stimmbänder verändert sich also auch während der Dauer eines und desselben Tones? Wenn der Ton in der gleichen Stärke ausgehalten wird, nicht; doch ist sie immerhin beim dauernden forte eine geringere, beim fortgesetzten piano eine größere. 7) Woher das? Weil der Ton bei gleichbleibender Spannung der Stimmbänder durch eine vermehrte oder übertriebene Kraft des Atemstoßes weit über die richtige Tonhöhe hinaufgetrieben werden müsste. So lässt also die Spannung in demselben Maße nach, als die Masse und der Impuls des in die Stimmbänder dringenden Atems zunimmt. Eben deshalb muss der junge Sänger erst der einzelnen Grade der Tonkraft Herr geworden sein, ehe er an die Schwellübungen geht, bei denen jene beständige Wechselwirkung zwischen der Muskeltätigkeit des Kehlkopfes und dem Atemdrang der Brust stattfindet. 8) Wie ist nun bei der Übung der messa di voce zu verfahren? Man übt am besten die beiden Momente des Zunehmens der Tonkraft und des Nachlassens derselben, das crescendo und decrescendo, getrennt. 9) Womit macht man den Anfang? Mit dem Studium des decrescendo. Der Schüler setzt einen Ton mit voller Atemkraft ein und lässt ihn ganz allmählich, in dem Grade, als seine Atemmasse geringer wird, abnehmen und im leisesten piano verhallen. Später mag die umgekehrte Übung vorgenommen und zum Anschwellen des Tones vom piano bis zum fortissimo, endlich aber zur Vereinigung beider Übungen geschritten, d.h. das An- und Abschwellen des Tones zu einer Studie verbunden werden. 10) Was ist dabei besonders zu berücksichtigen? Das ganz allmähliche, aber doch fortgesetzte Zunehmen und ebenso gleichmäßige Abnehmen der Tonkraft, was durch die bekannten Zeichen des crescendo und decrescendo veranschaulicht wird: < > Der Singende soll schon bei der Einzelübung des Anschwellens wie des Abnehmens (bei Tönen und Tonreihen) genau darauf achten, dass die Stimme niemals auf demselben Stärkegrade verweilt, sondern wirklich stets an Kraft ab- oder zunimmt, und lieber sofort abbrechen, wenn ihm ein weiteres pp oder ff nicht möglich ist. Wollten wir diese Vorschrift bildlich klar machen und uns dazu der obigen Zeichen bedienen, so hätte sich der Sänger davor zu hüten, Unterbrechungen im Steigen oder Fallen der Linien, d.h. Ebenen, eintreten zu lassen. Er muss sich also bemühen, der beständig fortschreitenden Verstärkung oder Abnahme der Tonkraft, d.h. der Atemführung, vollkommen mächtig zu werden. 11) Warum wurde vor solcher Übung im jugendlichen Alter gewarnt? Weil sie die größte Vorsicht erfordert und der zarten Brust nur zu leicht verderblich werden kann. Auch der gereiftere Jüngling, wie die jungfräuliche Sängerin sollte die Schwellstudien im Anfange sehr mäßig betreiben, nur etwa fünf bis zehn Minuten hintereinander fortsetzen und auf die bequemeren Töne des Stimmumfangs beschränken, bis die Stimme sich dieser Anstrengung mehr und mehr gewachsen zeigt.

 

Sechzehntel-Takt [von M. H. Fuhrmann, 1730] Der Sechzehntel-Takt ist ein rechter Prahlhans und Betrüger, indem die Komposition wegen der in den Linien oft 3 oder 4 mal durchstrichenen Noten zwar fein bunt und schwer aussieht und die Augen betrügt. Allein wenn die Ohren dazukommen, so ist die Kunst oft mit einem Quark versiegelt.

 

Seele [von Johann Mattheson 1739] Wenn nun gleichwohl die Bewegung der Gemüter und Leidenschaften der Seele von etwas ganz anderem, nämlich von der geschickten Einrichtung einer verständlichen, deutlichen und nachdrücklichen Melodie abhängt, so kann diesen Zweck niemand erreichen, der nicht in der Singekunst wohl erfahren ist.

  

Seidemann, Wolf (Wladyslaw). Stimmbildner. *01.03.1848 Kalisz, † 08.02.1919 Berlin. Seit 1867 als Sänger in Warschau. 1867-1869 Gesangsstudium bei Leopold Sterling in Warschau, dann bei Salvatore Marchesi am Konservatorium in Wien. Vor 1874-1882 als Sänger in Wien. 1882-1888 Gesangspädagoge in Warschau, 1888-1919 in Berlin am Stern'schen Konservatorium und eigenem Institut. 1908-1913: Lehrer für Stimmbildung/Sologesang am Stern'schen Konservatorium Berlin, W. 15, Joachimsthalerstr. 17; Sprachen: Französisch, Italienisch, Spanisch, Polnisch; spielte als Kind mit Jan Reschel (Jean de Reszke) auf der Straße in Warschau Murmeln. Lehrer von Willy Niering.

 

Seltenreich, Joseph  Kantor in Wolkenstein/Marienberg vor 1567.

 

Selva, Alberto * um 1861, † 16.07.1914 Berlin; Stimmbildner; Professor; 1911-1913: Wohn-Adresse: Charlottenburg 2, Grolmannstr. 37; Sprachen: Italienisch, Französisch, Spanisch; Methode: altitalienisch. Zuvor Dozent für Gesang am Konservatorium zu Padua.

 

Singen (1) [von Pier Francesco Tosi] Singen wie die Hühner, wenn sie ein Ei gelegt haben, ist zu verabscheuen.

(2) [von Luther] Wenn ich in Nöten bet' und sing', so wird mein Herz recht guter Ding'.

 

singhiozzando [von Ferdinand Sieber] Es ist damit das Schluchzen gemeint, welches ein Akt des Einatmens ist, während das tremolando und piangendo der Expirationstätigkeit zufällt. - Beim singhiozzando atmet der Sänger hastig, fast krampfhaft ein, wobei das Zwerchfell stoßweise zusammengezogen wird und die Luft schallend in die Stimmritze eindringt. Es liegt auf der Hand, dass nach solchem Schluchzen erst aufs Neue eingeatmet werden muss, ehe der Sänger den beabsichtigten Ton hervorbringen kann.

 

Skala [von Lilli Lehmann] Die große Skala, das unfehlbare Mittel. - Ich zeigte sie Niemann, er sang sie, schimpfte dazwischen, aber nach und nach besserte sich die Heiserkeit, er sagte nicht ab, sondern sang den Abend besser denn je mit ungeheurem Erfolge.

Als ich selbst vor einigen Jahren die Norma in Wien zu singen hatte und morgens ganz heiser aufstand, versuchte ich schon um 9 Uhr mein unfehlbares Mittel, über das as kam ich aber nicht hinaus und brauchte den Abend das hohe des und es. Ich war nahe daran, gleich abzusagen, weil mir der Fall verzweifelt schien. Dennoch übte ich bis um 11 Uhr halbestundenweise und merkte, wie es allmählich besser wurde. Abends standen mir die hohen des und es zur Verfügung, ich war brillant disponiert, man behauptete, mich selten so gut gehört zu haben.

Ich könnte unzählige Beispiele anführen, die alle darauf hinauslaufen, dass man früh nie wissen kann, wie man abends disponiert ist. Ich liebe es z.B. gar nicht, früh so sehr gut disponiert zu sein, weil auch leicht der umgekehrte Fall eintreten kann, was dann weniger erfreulich ist. Wollte man nur gut disponiert singen, mühte man 99 Mal von 100 absagen. Man muss eben seine Organe genau kennen und singen können, alles tun, was im Stande ist, uns disponiert zu erhalten, dazu gehört hauptsächlich Nervenruhe, Körperpflege und Stimmgymnastik, um allen Eventualitäten trotzen zu können. Vor allen Dingen darf man nie versäumen, jeden Morgen regelrechte Gesangsübungen auf seinem ganzen Stimmumfang zu machen. Peinlich ernst, und niemals denken, dass Stimmgymnastik den Sänger müde macht Im Gegenteil, sie erfrischt und macht widerstandsfähig, falls man Herr seiner Organe bleiben will. Das ist die Pflicht eines jeden Sängers, der öffentlich seine Kunst betreiben will.

Die große Skala. - Die allen Stimmgattungen notwendigste Übung. Meiner Mutter ward sie gelehrt, sie lehrte sie allen ihren Schülern und uns. Ich aber werde wohl die Einzige sein, die sie getreulich übt! Den anderen traue ich nicht. Als Schüler soll man sie täglich zweimal, als Sänger von Beruf mindestens einmal täglich üben.

Der Atem muss wohlvorbereitet sein, die Ausatmung noch weit besser; denn der Weg dieser langsamen 5 und 4 Töne ist weiter, als man denkt.

Der erste Ton wird sicher angesetzt und durch Abspannung des Zwerchfells nach dem Ansatz sofort reduziert, d.h. weich gemacht, indem der Atem sich verringert. Alle anderen Stimmorgane folgen dieser Abspannung und werden dadurch elastisch. Nun erst darf der so zu kontrollierende Atem seine Tonform ganz ausfüllen, so lang und stark man den Ton machen will. Doch ist ein übermäßiges Anschwellen hässlich und unkünstlerisch. Durch die zur Elastizität umgewandelte Energie, die der Ansatz erfordert, ist ein Stoßen des Atems oder Festkrampfen der Organe nicht mehr zu befürchten. Immer aber muss man daran denken, die Organe, wie Nase, Gaumen, Zunge, Kehlkopf und Zwerchfell, nach jeder Energie-Einstellung durch Abspannen des Zwerchfells wieder weich und elastisch zu machen. Ohne also den Ton besonders stark anschwellen zu lassen, d.h. zu kreszendieren, versucht man, um fortzuschreiten, die Fortpflanzungsform für den nächsten Ton in Gedanken zu gestalten. Der Gedanke muss der Tat lange voraus gehen. - Ist die Tonhöhe festgestellt, spannt man neuerdings das Zwerchfell und mit ihm alle anderen Organe ab und zwingt sie dadurch zur Nachgiebigkeit. Ohne die Form - die dem gehaltenen Ton bis zum letzten Moment seine Existenz sichert - zu zerstören, hebt man Nase, Gaumen, Zunge mit dem Gedanken an i und e, und schiebt die in Gedanken bereits veränderte neue Form mit energischer aber elastischer e-Stellung des Kehlkopfs immer gegen vorne und nach unten auf einen für den nächsten Ton geschaffenen Platz. Ist die Tonhöhe gesichert, die e mit i verbindet, so stellt sich der Kehlkopf unter der Zunge sofort auf u; d.h. er wird weich zu neuen elastischen Vorgängen vorbereitet. Nun erst kann auch der zweite Ton perfekt werden. Vor und nach jedem Ton- und Buchstabenwechsel erneuen sich alle angegebenen Vorgänge, und schon der unterste Ton wird zugunsten der Kopfhöhlenresonanz, d.h. Kopfstimme, eingestellt.

Man kann, wenn i schon sehr hoch gestellt, auf u weiter gehen, das hieße: mit dem Zwerchfell nachhelfen, oder wenn Zwerchfell und Kehlkopf bereits sehr weich verbunden auf u gestellt wären, mit i oder i und e, das hieße: mit Nase, Gaumen und Zunge die Weiterbewegung und Veränderung der Tonformen fördern.

Die Kehlkopfstellung e eng untereinander zu i, der Nasenstellung verbunden, das auch das jedesmalige Neuaufschlagen des Kehldeckels zur Folge hat, ist und bleibt der Körper des Tons. Durch ihn geschehen die Formschiebungen nach oben und unten, die Organstellungen und Tonklänge zu einem Zentralpunkt vereinigen, die aber ohne j - das elastisch verbindende Scharnier - beim Weiterschreiten, Formlösen und Neuformen keine Bindung zu Stande brächte; also nur als Tonzentrale anzusehen ist. Aber auch dieser Zentralpunkt muss elastisch allen Formbewegungen dienstbar sein und kann in Fällen, wo Nase, Gaumen, Zunge oder Zwerchfell weniger lebhaft operieren, energischer eingreifen, als bei normalen Zuständen nötig wäre; das hieße also: den Vokal e stärker zum Ausdruck bringen als i oder u.

Es gibt Sänger, welche Geläufigkeit nur auf a mit allein herumbaumelndem Kehlkopf, unverbunden mit Nasen, Gaumen oder Zwerchfellmuskeln singen, deren Tonreihen, anstatt aneinandergereiht - wie auf einem Bande verbunden - einzeln herauspurzeln. Diese Koloratur, die wir scherzweise „Klukeratur" nennen, hat nichts mit der Gesangskunst gemein.

Sobald u, e, i Hilfsvokale sind, brauchen sie nicht deutlich ausgesprochen zu werden. (Eine Ausnahme machen sie in Doppellauten: Trauuum, Leiiid, Lauuune, Feuier usw. usw.)

Oben sind sie nur Mittel zum Zweck, die Brücke, die Verbindung von einem zum anderen. Man kann sie nach jedem Platz mit hinnehmen, wenn sie geschickt geleitet werden.

Der Hauptzweck der großen Skala besteht in der weichen Form und abnehmender Atemverwendung, in der Sicherheit der vorbereitenden Fortpflanzungsform, der geeigneten Mischung der Vokale, die uns helfen, die Organe den Tonlagen bequem zuzurichten, die sich bei jedem Tone, wenn auch unmerklich, verändern müssen.

Ferner in der zielbewussten Ausnützung von Gaumen- und Kopfhöhlenresonanz, besonders letzterer, deren Klänge über allem schwebend die Verbindung durch das Nasale auf der ganzen Tonleiter übernimmt.

Die Skala muss ganz ohne Anstrengung, aber nicht ohne Energie, nach und nach auf den ganzen Stimmumfang geübt werden, und das ist - sobald es perfekt sein soll - eine ganze Oktave, die in 13 halben Tönen zwei ganze Oktaven umfasst. Soviel kann jede Stimme schließlich zuwege bringen, auch wenn die hohen Töne noch so schwach sein sollten. Die große Skala übt, richtig ausgearbeitet, geradezu Wunder. Sie gleicht die Stimme aus, macht sie geschmeidig, edel, verteilt Kraft und Schwäche zu gleichen Teilen, übernimmt die Reparatur aller vorhandenen Fehler und Brüche und kontrolliert die Stimme bis ins Herz hinein. Nichts bleibt ihr verborgen.

In ihr tritt sowohl Können als Nichtskönnen ans Tageslicht, was den Nichtskönnern allerdings sehr unangenehm ist. Sie ist meines Wissens die idealste aber schwerste Übung, die ich kenne. Widmet man ihr täglich 40 Minuten, so erlangt man dafür das Bewusstsein einer Sicherheit und Kraft, die einem zehn Stunden lange sonstige Übungen nicht zu geben vermöchten.

Sie sollten der Prüfstein in den Konservatorien sein.

Stände ich einem solchen vor, dürften die Schüler in den ersten drei Jahren nur schwere Übungen, wie diese große Skala bei den Prüfungen zu Gehör bringen, ehe sie daran denken dürften, ein Lied oder eine Arie zu singen, die ich nur als Deckmantel der Nichtskönnerei betrachte.

Für das Erlernen dieser Skala (sie ist ein Schutzengel der Stimmen) kann ich meiner Mutter gar nicht dankbar genug sein. In früheren Jahren drückte ich mich gern manchmal davon. Es gab eine Zeit, wo ich mir einbildete, dass sie mich anstrenge. Meine Mutter schloss ihre Warnung oft mit den Worten: „Du wirst es sehr bereuen". Und ich bereute es sehr. Als ich zeitweilig großen Anstrengungen ausgesetzt, sie nicht täglich übte, sondern mich mit Koloraturfeuerwerk begnügen zu können meinte, ward ich bald gewahr, dass meine Übergangstöne eine Anstrengung nicht mehr aushielten, leicht zu flattern begannen oder gar zu tief zu werden drohten. Das war eine entsetzliche Erkenntnis! Sie kostete mich viele, viele Jahre schweren sorgfältigsten Studiums, brachte mir aber schließlich die Erkenntnis der Notwendigkeit, dass man seine Stimmwerkzeuge fortwährend und ganz gehörig üben müsse, falls man sich immer darauf zu verlassen wünscht.

Üben, und speziell das Üben der großen langsamen Skala ist das einzige Heilmittel aller Schäden und nebstbei das herrlichste Präservativmittel gegen alle Anstrengungen. Ich singe sie täglich, manchmal zweimal, auch wenn ich abends die größten Rollen singe. Ich kann mich ganz auf ihre Mithilfe verlassen.

Wenn ich meinen Schülern nichts weiter beibrächte, als diese eine große Übung gut zu singen, so hätten sie schon ein Wissenskapital, das ihnen reiche Zinsen ihrer Stimme bringen müsste. Allerdings brauche ich manchmal 50 Minuten, sie nur einmal durchzunehmen, denn ich lasse keinen Ton hingehen, dem irgendetwas an Höhe, Stärke oder Dauer oder eine einzige Schwingung an der Fortpflanzungsform fehlte.

 

Sopran [von Tosi, 1723] Ein fleißiger Unterweiser, weil er weiß, dass ein Sopran ohne Falsett genötigt ist, in dem engen Umfang nur weniger Töne zu singen, sucht nicht allein ihm das Falsett zu verschaffen, sondern er lässt auch nichts unversucht, dass dasselbe mit der natürlichen Stimme auf eine solche Art vereinigt wird, dass man eines vom anderen nicht unterscheiden kann. Denn wenn diese Vereinigung nicht vollkommen ist, so hat die Stimme einen unterschiedlichen Klang oder (wie die Italiener sagen) verschiedene Register und verliert folglich ihre Schönheit.

 

Sparsamkeit [von Tosi, 1723] Die Sparsamkeit einiger Liebhaber, die gerne Musik hören, wenn es ihnen nichts weiter als einen Dank kostet, geht so weit, dass sie glauben, ein Musikus sei den Augenblick schuldig, ihnen ohne alle Vergeltung aufzuwarten und eine abschlägige Antwort sei eine so empfindliche Beleidigung, dass sie nichts als Hass und Rache verdient. Allein, da es ein menschliches und göttliches Gesetz ist, dass ein jeder von seinem ehrlichen Verdienst leben soll, welche unbarmherzige Anordnung hat denn die Musik verdammt, dass sie jedem umsonst zu Dienste stehen soll? Das heißt zu viel verlangt. Diese Sparsamkeit ist übertrieben.

 

Spiegel [von Tosi, 1723] Wenn der Sänger zu Hause seine Lektionen für sich durchsingt, so stelle er sich bisweilen vor einen Spiegel. Nicht etwa, um seine Schönheit mit bezaubertem Selbstgefallen zu bewundern, sondern nur, um sich vor den konvulsivischen Bewegungen des Leibes oder des Gesichts (mit diesem Namen pflege ich alle Grimassen eines lächerlich gezwungenen Sängers zu belegen) zu hüten oder davon zu befreien. Denn wenn diese einmal festen Fuß gefasst haben, so wird man ihrer nimmermehr wieder los.

 

Sprüche Wolkige Sprüche und Schmeicheleien ersetzen keine Belcanto-Technik.

 

Staccato [von Lilli Lehmann] Staccato kann ganz verschieden gemacht oder empfunden werden; je nach zufällig individueller oder gewohnheitsmäßer gerade dafür geschickter Formstellung. Es gehört vor allem die freie - sagen wir hohle U-Form, von Nase, Gaumen und Zwerchfell gebildet, dazu, die sehr weit vorn, individuell aber auch weit hinten gedacht werden kann. Nase und Gaumen bilden einen festen hochgespannten Sattel, an dem sich alles abspielt, was durch die Muskelarbeit sämtlicher Organe hervorgerufen wird. Dieser Sattel ist der Gegenpol zum Zwerchfell, die zusammen die Glockenform ausmachen. Der Klöppel, d.i. der Kehlkopf, schlägt - sobald die Form feststeht - mit stark gespanntem E mit den Brustmuskeln zusammen, in diese hohle U-Form hinein und trifft damit wie eine Kugel ins Schwarze einer Zielscheibe. Das Zwerchfell darf diese Kehlkopfattacke diesmal nicht störend unterstützen, sondern hält nur die Form unterhalb fest. Wie beim Atemruck bleibt die Form mit dem Atem starr stehen, solange die Staccati im Gange sind. Der Mund bleibt dabei geöffnet, der auch in den Pausen zwischen den Notenanschlägen nicht geschlossen wird, weil nur stumme Pausen zwischen den einzelnen wortlosen Tönen entstehen, kein Atemholen stattfindet, z.B. Atemruck - Pause - Anschlag - Pause - Anschlag - Pause usw.

Jedenfalls muss die Nase sehr weich auf U gebläht mit den Segeln glockenförmig in Verbindung stehen. Die Form bleibt hohl gestellt, bis der Klöppel mit der E-Attacke hineinschlägt, wozu er sich ganz besonders der Brustmuskeln beim Aussprechen d.h. beim jedesmaligen Anschlag bedient Wer bei dieser Formstellung der Segel den Rachen durch die Zunge nach hinten sehr weich abschließen kann, wird ohne Aussprache, nur mit dem Gedanken an i oder u, sehr gute flageolette und allerhöchste reinste Kopftöne zu Stande bringen.

 

Stimmausgleich [von Lilli Lehmann] In den tiefsten Stimmlagen der Frauen und Männer - bei letzteren verbreitet es sich fast über den ganzen Umfang - wird durch Ausdehnen des Gaumensegels gegen den Rachen der Weg zur Kopfhöhlenresonanz ziemlich abgeschlossen und dadurch der Brust- und Gaumenresonanz der Tonklang fast ganz allein zugewiesen. Den Kehlkopf muss man sich weich dagegen gestellt denken. Die Spannung zwischen i, e, u ist nur gering, mehr horizontal als senkrecht, die Stimmbänder nur wenig gespannt Die durch u gebildete Deckung des Tons wird an der Nase samtartig weich empfunden und beim Singen als großer Bogen am Gaumen entlang bis nach hinten geführt. Durch j verbunden mit allen anderen Vokalen und Organen. Dies nennen wir die Bruststimme, die kräftigste aller Stimmlagen. (Aus den Wiedergaben des Grammophons kann man deutlich heraushören, um wieviel sonorer die Männerstimmen klingen, die fast ausschließlich mit Bruststimme singen, als diejenigen der Frauen, deren Brusttöne allein eine Ausnahme bilden.)

Durch Hinaufziehen des weichen Gaumens - Kuppe - hinter die Nase (weicher elastischer Stockschnupfen), Heben des Zungenrückens und Engereinstellen des Kehlkopfes mit e, Längsspannen der Stimmbänder mit i nach oben, mit u nach unten, zieht sich das Segel zusammen und gibt dem Atem resp. dem Ton den Weg gegen die Kopfhöhlen frei, deren Resonanzen er nun ausnützt. Dies die Kopfstimme, die höchste Grenzlage aller Stimmen, das Falsett. Die dünnste Stimmlage, der aber die größte Tragweite eigen ist.

Zwischen diesen beiden extremen Stimmorganfunktionen der tiefsten Brust- und höchsten reinen Kopfstimme, resp. dem Falsett, liegen alle Stufen der tieferen und höheren Mittellage sowie die gemischte Brust- und Kopfstimme, die voix mixte. Alles, was wir durch Vermittlung der Organmuskel resp. der geeigneten Wechselstellungen der Organe durch Vokalmischungen erlangen können.

Die Gaumenempfindung (...) ist natürlich nur Empfindung. Sie erklärt sich aus der Spannung, die von einem andern Muskel ausgeht, der ober dem Gaumen ansetzt, sich in zwei Teile teilend den Rachen entlang herunter erstreckt. Es ist ein Spannmuskel, der, sobald das Segel hochgezogen wird, in die Erscheinung tritt und das Gefühl erzeugt, als spanne sich das Gaumensegel direkt in weitem Bogen von der Nase bis zum Zwerchfell hinunter. Tatsächlich zieht sich das Gaumensegel immer mehr nach oben zusammen, je höher wir mit den Tönen steigen. Die Empfindung aber wächst durch den Gegenspanner nach unten.

Wenn ich oben sagte, dass bei der Bruststimme das bis über den Rachen gespannte Segel den Weg gegen die Kopfhöhlen fast ganz abschließe, muss dennoch ein geringer Zweigstrom hinten über das Segel mit i an die Nase, später an Stirn- und Kopfhöhlen dringen. Dieser bildet die Obertöne (Kopfstimme), die auf allen, selbst den tiefsten Tönen schon mitklingen müssen, die von der reinsten Bruststimme langsam in wechselseitiger Mischung der beiden Resonanzen erst zur Höhe von Baß und Bariton - der Tiefe des Tenors, Mittelstimme von Alt und Sopran, schließlich zu der reinsten Kopfstimme, den höchsten Tönen des Tenorfalsetts oder Soprans hinüberführt.

Die außerordentlich fein nuancierbare Skala zunehmender Kopfhöhlenresonanz bei aufsteigender und zunehmender Gaumenresonanz bei herabsteigender Bewegung beruht auf der Geschicklichkeit, Gaumen, Zunge und Kehlkopf elastisch funktionieren und den Atem unaufhaltsam, durch Abspannen der Bauch- und Schmalstellen der Brustpresse kontrolliert, weich an die eng verbundenen Resonanzräume aufströmen zu lassen.

Durch Kehlkopf und Zunge vorbereitet, muss er, wie in einem Zylinder laufend, seine Resonanzplätze erreichen und in der für jeden Ton und Vokal notwendigen, längst präparierten Form kreisen. Die Form umschließt ihn weich, doch fest. Seine Luftzufuhr bleibt ununterbrochen gleichmäßig dieselbe, eher zu- als abnehmend, trotz der minimalen Quantität, welche die Presse aus der Vorratskammer den Stimmbändern zuführt. - Um weiterschreitender Bewegung nicht hinderlich zu sein, muss die Form elastisch den feinsten Nuancen des Vokals zugängig bleiben. Falls der Ton lebendig sein soll, muss er sich beständig allen Vokalen anschließen können. Die geringste Verletzung der Formspannung durch Faulheit der Aussprache oder Atemunterbrechung zerreißt die Wirbel resp. die Schwingungen, also den Ton, seinen Klang, seine Stärke oder Dauer.

Bei fortschreitender Bewegung wird die Form höher nach i und weicher nach u, die weichste Stelle am Gaumen zieht sich nach oben.

Wenn ich einen einzelnen Ton singe, kann ich ihm viel mehr Kraft verleihen, ihm mehr Gaumen-, Brust- oder Nasenresonanz einräumen, als ich ihm in einer Reihe aufsteigender Töne geben dürfte. Bei einer Figur muss ich schon den untersten Ton so stellen, dass ich den obersten bequem erreichen kann, ihn also mit viel mehr Kopfstimme versehen, als der einzelne Ton verlangt (sehr wichtig).

Beim Weiterschreiten habe ich am Gaumen, über und hinter der Nase gegen die Kopfhöhlen das Formgefühl eines starken aber sehr elastischen Gummiballs, den ich mit meinem - sehr weit hinten aufströmenden Atem wie einen Luftballon fülle, dessen Füllung gleichmäßig anhält, d. h. der Zweigstrom des Atems, der aus der Brustpresse wirbelnd gegen die Kopfhöhlenresonanz dringt, muss nach beendeter Arbeit auf i unbehindert dem Munde entströmen.

Ich kann den Ball nach oben birnenförmig erweitern, sobald ich höherzuschreiten gedenke, und zwar erhöhe ich die Form, indem ich sie erweiche, ehe ich von dem eben gesungenen Ton fortgehe, stelle diesen selbst sozusagen höher ein und erhalte auf diese Weise bereits die Form, die Fortpflanzungsform also, für den nächsten höherliegenden Ton, den ich nun leicht und mühelos anschlagen kann, sobald keine Unterbrechung in der Atemausstrahlung gegen die Schleimhäute stattfinden konnte. Deshalb darf der hinten aufsteigende Atem niemals gedrückt werden, sondern muss immer nachströmen. Je höher der Ton, je mehr Schwingungen, je schneller kreisen die Wirbel und je senkrechter stellt sich die Ton-Atemform im Gefühl dazu ein.

Katarrhe trocknen die Schleimhäute oft stellenweise aus, dann brechen die Töne leicht ab. Da heißt es mit der größten Vorsicht mit besonders stark nachströmendem Atem singen und lieber öfter frisch Atem holen.

Beim Hinabsteigen einer Skala oder Figur muss ich dagegen die Form des obersten Tones sehr vorsichtig wahren, muss ihn höher denken, darf beileibe nicht tiefer werden, sondern muss scheinbar auf gleicher Höhe bleiben und mir einbilden: denselben Ton nochmals anzuschlagen. Die Form kann am obersten Ende nach und nach ein wenig abgestumpft werden, d. i. der weiche Gaumen legt sich sehr behutsam dunkler gegen die Nase, und fast immer auf dem höchsten Tone ausharrend, singt man nun gegen die Nase mit Hilfe des Vokals u die Figur zu Ende. Der Hilfsvokal u bedeutet nichts weiter als das langsame Tieferstellen des Kehlkopfs, das sich bei jedem Ton oder Buchstabenwechsel erneut.

Hierbei nimmt die Kopfhöhlenresonanz ab, die Gaumenresonanz zu, nach und nach auch die Brustresonanz; denn der weiche Gaumen senkt sich und das Segel bläht sich mehr und mehr. Doch darf sich die Kopfstimme nicht von der Gaumenresonanz loslösen. Beide bleiben bis zum letzten Hauche verbunden, indem sie sich nach Höhe und Tiefe wechselseitig unterstützen, wechselseitig unhörbar ab- und zunehmen.

Zu der Form tragen bei:

Spannen der Nase, Heben und Senken des weichen Gaumens, und dementsprechend Senken und Heben des Gaumensegels. Das Kinn fällt weich herunter, wird weit zurück nach hinten gespannt, so dass die Zunge hoch aus dem Halse steht, der Kehlkopf sich frei unter der Zunge bewegen kann.

Die richtige Zungenlage: Die Spitze lehnt an den unteren Vorderzähnen, meine sogar bis an die Zahnwurzeln.

Der Zungenrücken muss, weich und frei aus dem Halse stehend, allen Bewegungen zugänglich sein; sie soll eine Rinne bilden, die in tiefster Lage am wenigsten auffallend ist und auch bei direkten Kopftönen sich eventuell verlieren kann. Sobald der Ton Anspruch auf Gaumenresonanz erhebt, muss die Rinne hervorgebracht und beibehalten werden. Bei mir ist sie immer zu sehen, wenn ich nicht besonders dunkel singe, also decke. Das ist eines der wichtigsten Kapitel, auf das gar nicht genug gesehen werden kann. Sobald sich die Rinne in der Zunge zeigt, ist die Zungenmasse dem Halse entrückt, da sich ihre Seiten hoch stellen; dann muss der Ton richtig klingen. (Doch gibt es Sänger, deren Zungen auch ohne Rinne gut liegen.)

Am flachsten liegt sie in der tiefsten Lage, weil der Kehlkopf dann sehr horizontal steht und somit ihr aus dem Wege geht.

Ferner die ungezwungene Stellung des Kehlkopfes, der ohne Druck der Zunge und Zungenwurzel zu operieren hat, dem der Atem unaufhaltsam gleichmäßig entströmen muss, um die ihm von Zunge und Gaumen bereitete Form auszufüllen und worin er von den Halsmuskeln unterstützt wird.

Die Unterstützung beruht aber auf keinem Druck - sondern auf der größten elastischen Spannung. Man muss mit den Muskeln spielen, sie nach Belieben zusammenziehen und auflösen können, sie also in der Gewalt haben. Dazu braucht's unausgesetzter Übung, unaufhörlicher Kontrolle der Form durch Gehör und Atempresse und unaufhörlichen Aussprechens von bestimmten Vokalen.

Anfangs ist eine sehr starke Willenskraft nötig, die Muskelspannung ohne Druck festzuhalten, d.h. den Ton quasi schwebend Rachen, Mund oder Kopfhöhlen zu überlassen.

Je stärker der (falsche) Druck gewesen, durch den der Ton entstand, je schwieriger ist das Loslösen vom Druck. Es ist auch gleichbedeutend mit Anstrengung. Die Kontraktion der Muskeln darf nur so weit gehen, dass sie sich langsam lösen, d. h. in ihre normale Lage bequem wieder zurückkehren können. Niemals darf der Hals sich blähen oder die Adern daran heraustreten. Jedes krampfhafte oder wehe Empfinden ist falsch.

 

Stimmbildner (1) [von Maximilian Hörberg 23.08.2008-16:11] Auftreten eines Stimmbildners als aktiver Sänger: Edward V. Foreman ["A Comparison of selected Italian vocal tutors of the period circa 1550 to 1800", S. 80 f.] stellt verwundert fest, dass die großen Stimmbildner Giambattista Mancini und Manuel Garcia d.J. nur unterrichtet haben, nicht aber gleichzeitig aufgetreten sind. - Dies erklärt sich dadurch, dass Belcanto-Stimmbildung effektiv nur durch ständiges Vor- und Nachmachen von Lehrer und Schüler erfolgt. Da der Stimmbildner sämtliche Stimmfächer unterrichtet, muss er vom tiefsten Bass bis höchsten Sopran alles differenziert vormachen können. Dies beinhaltet jedoch, dass er seine Stimme aufgeben muss, worin die Lösung der Frage liegt. Er kann zwar wieder mit seiner eigenen Stimme auftreten, müsste dann aber - um wirkliche Leistung auf höchstem Niveau bringen zu können - ca. 6 Monate für eine entsprechendes ausschließliches Training seiner eigenen Stimme einplanen, während dessen er nicht ordnungsgemäß Belcanto unterrichten könnte.

(2) [von André E. M. Grétry] Einen guten Stimmbildner erkennt man an seinen Schülern.

 

Stimme [von M. H. Fuhrmann, 1706] Wer keine liebliche Stimme hat, sondern wie ein Hahn kräht, der wird die Kunst aus dem Grunde so fest und fertig fassen wie ein lahmlendiger Windhund ein Wildbrät fängt.

 

Stimmlagen [von Lilli Lehmann] Was ist ein Stimmregister? Doch nur eine Stimmlage.

Eine Reihe von Tönen, die, auf besondere Art gesungen, durch besondere Haltung der Stimmorgane, wie Kehlkopf, Zunge und Gaumen, hervorgebracht werden. Jede Stimme rechnet mit drei Stimmlagen, Brust-, Mittel- und Kopfstimme, doch werden nicht alle bei allen Stimmgattungen verwendet.

Zwei davon sind bei Anfängern oft einigermaßen verbunden, das dritte gewöhnlich viel schwächer vorhanden oder gar nicht. Nur sehr selten trifft man von Natur auf ihrem ganzen Umfange gleichwertige Stimmen.

Existieren Register von Natur? Nein. Sie werden wohl erst durch jahrelanges Sprechen in ein oder der anderen dem Besitzer bequemsten oder durch Nachahmung angenommenen Lage geschaffen, die dann zur Gewohnheit wurde. Ist diese mit natürlich richtiger Muskelarbeit der Stimmwerkzeuge verknüpft, so kann sich die also geübte Lage stark gegen andere Stimmlagen heraus und ein Register für sich bilden, das natürlich nur Singenden zum Bewusstsein kommt.

Wenn hingegen schon beim Sprechen eine falsche Muskeltätigkeit in Anwendung kam, kann nicht nur die gebrauchte Stimmlage, sondern eine ganze Stimme schlecht klingend werden. In jeder Stimme kann also ein oder die andere Lage stärker oder schwächer sein, und ist's auch fast durchgängig, da die Menschen in der ihnen bequemsten resp. gewohnten Lage sprechen und singen, ohne an die rechte Stellung der Organe zueinander zu denken, selten schon als Kinder auf deutliches, schön klingendes Sprechen aufmerksam gemacht werden.

Im günstigsten Falle bildet die so geübte Lage mit der Zeit eine Grenze nach beiden Seiten, nicht sowohl des Vermögens, als der Ungeschicklichkeit oder Ungewohnheit. Man begrenzt die Stimme, indem man der Bequemlichkeit und Gewohnheit Rechnung trägt, ohne nach der Leistungsfähigkeit der Organe, noch nach den Anforderungen der Kunst zu fragen.

Wird solch besondere Art, für 3-4 Töne ungefähr passend, auf 6-8 Töne ausgedehnt, so entsteht im schlimmsten Falle mit der Zeit an deren äußersten Grenze ein Bruch. Im besten Falle werden die über der Grenze zunächst liegenden Töne schwach und kraftlos gegen die vorher forcierten abstechen.

Drei solcher Grenzen resp. Arten können gefunden und angewandt werden, Brust-, Mittel- und Kopfstimme, alle drei durch Übertreibung Register bilden, indessen sie eine Abtönung untereinander darstellen sollten, um ineinander zu verschmelzen. Die Organe müssten bei geschickter Führung des Lehrers, sowie durch Talent und Fleiß des Schülers so gestellt und gewöhnt werden, dass sich eine Stimmlage unmerklich in die andere fügte. Dann würde Schönheit, Gleichmaß und Ausdehnung der Stimme für ihre Verwendbarkeit gesichert sein.

Das auffallende Abheben der verschiedenen Stimmlagen voneinander hat ihnen den Namen „Register" eingetragen, die man überall als selbstverständlich annimmt, und die seit Jahren eine erschreckende Rolle in der Gesanglehre spielen, die mehr als irgend etwas anders dazu angetan sind, eine furchtbare Verwirrung unter Sängern und Lehrern heraufzubeschwören, an deren Ausrottung vielleicht gar nicht zu denken ist. Sind diese Register doch nichts weiter als drei unverbundene Arten des Gebrauchs der Stimm- und Resonanzwerkzeuge.

Bei den vielen üblen Angewohnheiten der Singenden, bei der gänzlichen Unkenntnis der Ursachen, ist's auch nicht zu verwundern, wenn man uns von 2, 3, 4, 5 Registern zu erzählen weiß. Viel richtiger könnte man jeden einzelnen Ton jeder Stimme mit dem Namen eines Extraregisters beehren, denn schließlich wird und muss jeder Ton in anderer Verbindung, wenn auch unmerklich, mit veränderter Organstellung genommen werden, soll er sich ebenbürtig in das Ganze fügen. Man klammerte sich also an die Bezeichnung von Brust-, Mittel- und Kopfregister; verwechselte Stimmlage mit Register und schuf eine heillose Verwirrung, die zu entwirren nur vereinten sehr starken Kräften möglich sein wird.

Solange das Wort Register beibehalten wird, werden die Register auch nicht verschwinden. Und dennoch muss die Registerfrage aus der Welt geschafft werden, um einen anderen Ideengang zu erzeugen, der gesündere Anschauungen bei den Lehrern und wahrheitsgetreuere Auffassung bei Schülern und Sängern hervorbringt.

Natürlich kann man auf die Ausbildung einer einzigen oder zweier verbundener Stimmlagen mehr Kraft verwenden, als auf eine in allen erreichbaren Lagen gleichmäßig ausgeglichene Stimme. Dazu gehören viele Jahre geduldigsten Studiums und Beobachtung, oft langzeitige oder gänzliche Aufopferung einer oder der anderen Grenzlage zum Besten der zunächstliegenden schwächeren. Der Kopfstimme besonders, die, wenn ungemischt, so lange ungleichmäßig dünn gegen die mittlere Lage klingt, bis durch ausgeübte Elastizität der Organe, Widerstandsfähigkeit der Halsmuskeln, der Muskelspannkraft der Organstellungen zueinander, ein positiver Ausgleich stattfinden kann.

Stimmen, die nur eine resp. zwei Lagen umfassen, nennt man kurze Stimmen, deren Verwendung dann ebenso begrenzt ist als sie selber.

Zudem muss man bedenken, dass sich alle Stimmen, gleichviel ob kurz oder lang, selbst diejenigen der allergeschicktesten Sänger, mit dem Alter gern von ihren höchsten Grenzen nach unten ziehen, sobald sie nicht immer auf ihren ganzen Umfang hin, mit subtilster Behandlung der Kopfstimme, geübt werden. Daraus hat man zu schließen, dass man seiner Stimme immer die größtmöglichste Ausdehnung zu geben hat, um des Notwendigen gewiss zu sein.

Der Bau der Organe trägt viel bei zur Stimmlage. Es gibt starke, schwache, tiefe, hohe Stimmen von Natur; aber jede Stimme ist durch ein gutes Studium im Stande, eine gewisse Kraft, Biegsamkeit und Ausdehnung zu erlangen.

Leider spielt hier der Eigensinn eine große Rolle und arbeitet dem Lehrer gar oft entgegen. Viele wollen z.B. Altistin sein, weil sie sich entweder ängstigen, durch Gewinn hoher Töne die Stimme zu ruinieren, oder weil es ihnen bequemer ist, auch wenn sie sonst nichts dazu berechtigte.

Heutzutage werden keine Opern mehr auf bestimmte Persönlichkeiten und ihre stimmlichen Sonderheiten geschrieben. Komponist und Dichter drücken aus, was sie empfinden, ohne Rücksicht auf eine Altistin, die kein hohes c, oder Sopranistin, die kein tiefes as oder g hat. Der Künstler aber wird stets finden, was er braucht.

Fast bei allen Sängern existieren verschiedene Lagen, aber sie sollten nicht zu Gehör gebracht werden, sollten nicht existieren. Alles müsste dermaßen mit gemischter Stimme gesungen werden, daß kein Ton auf Kosten des anderen forciert würde. Um Monotonie zu vermeiden, müssen dem Sänger natürlich außerordentliche Ausdrucksmittel in allen Stimmlagen zu Gebote stehen. (S. Vokale.) Vor allem genaue Kenntnis der Resonanzvorteile der einzelnen Töne, sowie deren Verbindungen. Die Seele muss man durch Vokalfärbung, Muskelspannungen und Lösungen ausdrücken, Geschicklichkeit und Kenntnis der Ursachen, Atemführung und Formvollendung die Möglichkeit geben, jeden Stärkegrad und Ausdruck zu versinnlichen. Register werden demnach hervorgerufen, indem man eine Reihe meist aufsteigender Töne, auf ein und derselben Resonanzstelle erzwingt, anstatt zu bedenken, dass bei fortschreitender Bewegung kein Ton dem anderen genau gleichen kann, weil die Organstellung jedesmal eine Veränderung erfahren muss. Der Gaumen muss von den Vorderzähnen bis ans äußerste Ende beweglich und allen Veränderungen elastisch zugänglich bleiben. Auf die dauernde Verbindung des weichen Gaumens mit der Nase, die überall stattfinden kann, der mehr oder weniger gehoben und ausgebreitet den Ton verändert, kommt sehr viel an. Geraten Töne, wie es bei stark abgegrenzten Registern so oft der Fall ist, in eine Sackgasse, wird ein Entrinnen ohne Sprung in ein anderes Register unmöglich, der möglicherweise auch noch missglücken kann.

Bei jedem Ton, den der Sänger zu singen hat, muss ihm der Gedanke, höher gehen zu können, gegenwärtig bleiben, der Ansatz für verschiedene Töne nicht an ein und derselben Stelle erzwungen werden.

Der Kehlkopf darf nicht plötzlich heruntergedrückt oder hochgeschnellt werden, nur wenn man es als Effekt benützen will. Wenn man nämlich von einem Brustton auf einen Ton zur Mittel- oder Kopfstimme verbunden übergehen will, wie die alten Italiener taten und auch ich es noch lernte.

Es ist nur die Gegenattacke vom Zwerchfell gegen das Kehlkopf-E, die auf den Kehlkopf im Hinaufschlagen mit dem starken Atemdruck beruht und plötzlich auf den hohen Ton hinaufschnellen lässt. Man nannte es: mit dem Ton überschlagen. Es wurde sehr viel angewandt und gab, gut gemacht, schöne Effekte. Ich verwende es heute noch bei italienischer Musik, wozu es gehört. Es ist eine Ausnahme von der Regel der unmerklichen oder unhörbaren Organveränderungen.

Von einem halben Ton zum anderen steigt die Tonleiter, die Höhenlage verändert sich, da kann auch die Position der Organe nicht auf mehreren Tönen dieselbe bleiben. Aber ebensowenig wie ein schroffer Wechsel im Gesang gehört werden soll, ebensowenig darf ein schroffer Wechsel in der Stimmempfindung des Sängers vor sich gehen. Jeder Ton muss auf elastischem Wege unmerklich vorbereitet sein, d.h. gelöst, gestellt und wieder gelöst, und ein bequemes Empfinden beim Sänger sowie ein angenehmes Gefühl beim Zuhörer hervorrufen.

Die kleine Kuppe (weichste Stelle) am Gaumen ist kolossal dehnbar und in unendlichen Nuancen verstellbar. So unbedeutend ihr Heben und Senken auch scheinbar sein mag, ist sie doch von weittragendster Bedeutung für Ton und Sänger.

Das Atemzentrum, das gleichzeitig Ansatz und Körper durch die Bauchpresse gegen die Brust bildet, hat seinen festen Sitz stets an, unter oder hinter der Nase. Ohne Körper bedeutet selbst das feinste Pianissimo nichts. Ausnahmen davon machen nur die allerhöchsten, ungemischten Kopftöne, die uns nichts ausdrücken können. Bei ihnen muss alle Körperschaft aufgegeben werden. Ihr schwebender Klang verträgt keinen Druck, also auch keinen Ausdruck, der allein durch Mischung von Brust- und Gaumenresonanz mittels dunkler Vokale möglich wird. Sie haben ihre Bedeutung allein ihrem reinen Wohlklang zu verdanken.

Am Gaumen resp. an der Nase sollen auch alle Vokale ihren ununterbrochenen Resonanzsitz bewahren. Die ganze Schönheit der Gesangskunst, der Kantilene sowohl als aller Technik beruht hauptsächlich auf ununterbrochener Verbindung von Ton und Wort, an der Schmiegsamkeit des weichen Gaumens an den harten, dem fortwährenden elastischen Anpassen des ersteren an den letzten.

Will man seinen Ton kontrollieren, und das sollte man beim Studieren immer, braucht man ihn nur daraufhin zu prüfen, ob man ihn ohne merkliche Veränderung der Organstellung, bequem weicher machen und gegen Nasen- resp. Stirnhöhlen höher treiben, d.h. ihm eine Fortpflanzungsform nach der Höhe zu schaffen kann. Dabei kann man gewahr werden, wieviel Höhe ein Ton gebraucht, ohne zu hoch zu sein, wieviel ihm oft an Höhe und Dauer fehlt, um hoch genug zu klingen. Da kommen ganz merkwürdige Sünden zutage! Ursache eines zu tief klingenden Tones, zu hoch gezogenes Gaumensegel nach hinten oder zu tief liegender Zungenrücken das zusammen einen Hohlraum in der Mundhöhle schafft und das der Kopfstimme das Mitklingen wehrt. Dieser Fehler wird von sehr vielen Sängern in allen Stimmen fast an denselben Stellen begangen und kommen nur vom starren Festhalten desselben Resonanzplatzes für mehrere Töne und Nichtachtung des Hinzuziehens der Kopfhöhlenresonanz. Überall muss die Fortpflanzungsform bewusst geschaffen werden, ohne die ein Kunstgesang gar nicht zu denken ist.

Die Nichtachtung dieses wichtigsten Gesetzes hat gewöhnlich eine Überlastung der Stimmbänder und Halsmuskeln im Gefolge, die erst das Zutiefsingen und später das grässliche Tremolieren (siehe Tremolieren), heraufbeschwört, dem so viele Sänger zum Opfer fallen.

Es gibt aber auch Sänger und Sängerinnen, die zu viel Kopfstimme auf die ganze Stimmskala verwenden, die man weiße Stimmen nennt. Ohne genügendes Hinzuziehen dunkler Vokale und der Brust- und Zwerchfellspannungen und Attacken sind sie außerstande, einen tieferen Eindruck zu hinterlassen, weil ihr Ausdrucksvermögen gleich null ist. In diesem Falle würde sich empfehlen, das Gaumensegel ein wenig höher zu heben, den Kehlkopf etwas tiefer zu stellen, und den Vokal u      - der die tiefere Kehlkopfstimmung bedingt -, allen anderen Vokalen weise verteilt beizumischen. Die Stimmen würden wärmer und ausdrucksvoller klingen.

Sobald der Sänger auf jeden Ton die richtige bequeme und hörbare Fortpflanzungsform für den nächstliegenden bewusst zu schaffen im Stande ist, müssen alle Registerfragen verschwinden. Es darf eben nicht auf Register gedrillt, nicht mehrere Töne an ein und derselben Stelle erzwungen werden. Jeder Ton erhält unmerklich seinen eigenen Platz, seine Höhe, Dauer, Stärke, deren er zu seiner Vollkommenheit bedarf. Und das alles beherrscht ein einziger Meister: das Ohr!

Dies Ziel wird leider so selten erreicht, weil es in der Meisterschaft: Maß zu halten, besteht, in dem sich leider nur wirkliche Meister üben.

Man kann annehmen, dass der tiefen Stimmlage die größte Kraft, der mittleren die meiste Ausdrucksfähigkeit, der hohen der weittragendste Klang zu eigen ist.

Die beste Mischung aller drei untereinander kann sich durch Geschicklichkeit des einzelnen Individuums, ja oft nur durch das gute Ohr dafür zur höchsten Kunst herausbilden. Wenn sich Ausdruck des Wortes, Schönheit des Materials und vollkommene Phrasierung zu größter Vollendung zusammenfinden, so beruht das entweder auf Kenntnis oder natürlicher Geschicklichkeit der ungeheuren Varietät, die gesungenen Worte denjenigen Resonanzverbindungen anzupassen, die im Stande sind, den Ausdruck, also den Geist des Wortes zu versinnlichen. Sie werden durch eine stärkere Nuance nach einer oder der anderen Resonanzseite durch gemischte Vokale oft hervorgebracht, ohne Verbindung oder Schönheit der Tonphrase zu zerreißen. Hier spielt das ethische Gefühl die Hauptrolle, denn trotz aller Kraft, aller Wahrhaftigkeit muss es schön, resp. in den Grenzen der Gesangskunst bleiben.

Auch dieses Gesetz bleibt sich für alle Stimmen gleich. Es handelt sich um den ganzen Umfang einer für den Kunstgesang ausgebildeten Stimme, die der großen Aufgabe gegenüber steht, Kunstwerke zu verkörpern, die kein Volkslied, sondern meist Menschentragödien bedeuten.

Die meisten männlichen Stimmen, Tenöre zumeist, halten es unter ihrer Würde, womöglich unnatürlich oder lächerlich das Falsett, das allen Männerstimmen -, wie die Kopfstimme allen Frauenstimmen - zu eigen ist, zu gebrauchen. Es fehlt ihnen das Verständnis für seine Mitarbeit, weil sie dessen Existenz oft gar nicht ahnen, oder es nur von seiner ungemischten Reinheit, d.i. der dünnsten Seite kennen. Von seiner Verwendung, d.h. der notwendigen Mischung mit der Bruststimme, haben sie keine Ahnung. Ihr Gesang ist aber auch meist danach.

Die Mischung ist von Natur schon in allen Stimmgattungen vorhanden, die Geschicklichkeit aber und Kenntnis muss sie auszubeuten verstehen, sonst ist auch die Naturanlage wertlos.

 

Stimmreparaturen [von Lilli Lehmann] Die Nichtachtung der Kopfstimme (Obertöne) rächt sich bitter. - Je mehr Kraftanstrengungen gemacht werden, sie zu erzwingen, sie festzuhalten, je schlimmer die Folgen. Dann gibt's für die meisten Unglücklichen nur ein Fazit: die Stimme ist verloren!

Ist das erste und zweite Tremolostadium schon schwer zu beseitigen, weil die Ursache selten erkannt und noch seltener die Gegenmittel bekannt sind, so bedeutet die Reparatur des letzten Stadiums geradezu einen Kampf, aus dem nur unsägliche Geduld als Siegerin hervorgehen kann.

Wunderkuren gibt es nicht für den Sänger. Ganz langsam nur kann Schwebung für Schwebung wieder gewonnen werden. Im Worte „Schwebung" liegt schon der Begriff der Arbeit. Nie mehr darf der Atem unkontrolliert durch die ermatteten Stimmbänder strömen, nur immer gegen die Brust gedrängt werden, als sollte er dort direkt hinaus. Die Halsmuskeln müssen so lange brach gelegt werden, bis sie sich des krampfhaften Zusammenpressens entwöhnt haben. So lange, bis die Obertöne wieder richtig schweben, und lange, wenn auch ganz piano, sich richtig schwebend erhalten. Das scheint anfänglich ganz unmöglich, ist auch sehr schwer, es verlangt alle Energie des Kranken. Aber es ist möglich und kann ihm nicht erspart bleiben, da es der einzige Weg zur gründlichen Heilung ist. Der Kranke hat eine höchst unangenehme Periode zu durchlaufen. Ist er fleißig und achtsam, kann er sehr bald auf seine alte Art nicht mehr singen, aber die neue Art ist ihm hauptsächlich darum ganz fremd, weil sein Ohr sich immer noch so hört, wie er sich sonst zu hören gewohnt war. Bis er seinen so lange fälschlich malträtierten Muskeln wieder etwas wird bieten können, darüber können Jahre vergehen. Keiner sollte davor zurückschrecken, kann er es als Sänger ausübend nicht mehr gebrauchen, so doch sicher als Lehrer, denn ein Lehrer muss gut singen können. Wie soll er anderen Stimmempfindungen beschreiben, die er selbst nie empfand? Ist es nicht ebenso, als wollte einer eine Sprache lehren, die er nicht spricht? Oder ein Instrument, das er selbst nie gespielt? Wenn er sich selbst nicht hört, wie soll er andere hören lehren?

Stadium der Krankheit und Geschicklichkeit des Kranken sprechen natürlich viel mit. Aber man kann eine jahrelange Gewohnheit nicht ausziehen wie ein altes Kleid, und auch jedes neue Kleid ist uns unbequem. Man kann weder von sich noch anderen eine schnelle Heilung verlangen. Gehört auch Mut und Energie zu dem Unternehmen, so lernt man dafür seine Stimme mit Bewusstsein zu gebrauchen, wie es von Anfang an hätte sein sollen.

Man muss sich übrigens darauf gefasst machen, dass selbst bei guter Heilung die alten Gewohnheiten gleich Hühneraugen bei Regentagen, sobald man physisch nicht disponiert ist, zum Vorschein kommen. Das darf aber nicht mutlos machen, denn Beharrlichkeit führt zum Ziele!

Wie ich schon früher sagte, möchten stimmkranke Sänger am liebsten durch Wunderkuren geheilt werden, und es gibt auch Lehrer und Sänger, die solche Wunderkuren in wenig Wochen oder Stunden zu vollbringen sich rühmen.

Vor denen aber warne ich! Ebenso wie vor gewissenlosen Ärzten, die in dem Kehlkopf herumpinseln, brennen, schneiden und alles eher schlimmer machen als besser.

Es gibt kein anderes Mittel als langsames, sehr sorgfältiges Studieren der Ursachen der Krankheit, die fast in allen Fällen im unkontrollierten Atemausströmen durch die Stimmbänder und Nichtachtung der Kopfstimme, d.h. der Obertöne, liegt, sowie am Erzwingen der Tonhöhe und Stärke an falscher Resonanzstelle des Gaumens und am Zusammenkrampfen der Halsmuskeln. Hierin sind fast durchgängig alle Fehler zu suchen, in deren Erkenntnis das Mittel zur Hebung derselben auch schon vorgeschrieben ist.

Der Heilungsprozess ist schwierig und langwierig. Es gehört eine unbeschreibliche Geduld des Patienten sowohl als des Arztes, d.i. des Schülers und des Gesanglehrers (der hier einzig richtige Arzt) dazu, weil die Kopfnerven durch das Bewusstsein des Unvermögens schon genugsam angegriffen sind, die doch leicht und mühelos beim Anschlagen der Kopfstimme agieren müssen.

Stimmreparaturen bedürfen der größten Objektivität und Vorsicht des Lehrers, der dem Schüler Mut zusprechen muss, und aller Gemütsruhe, Nervenstärke und Geduld des Schülers, um zum gewünschten Ziel zu gelangen. - Wollen ist Können!

 

strascinare Ineinanderwischen der Töne.

 

Stückgold, Jacques  Gesangsmeister, Musiklehrer für Gesang; *29.01.1877 in Warschau; † 04.05.1953 New York. Stammte aus einer bekannten musikalischen Bankiersfamilie in Warschau, Vater: Schlama, Bankier; Mutter: Eva Rotmil; Cousin Stanislaus (1880-1933): Mitglied beim "Blauen Reiter" (München); verh. mit Grete Schneidt; Tochter: Eva, *1919 München. 1899-1905 (1913?) Gesangspädagoge in Karlsruhe. 1905-1910 wohnhaft in Karlsruhe: 1905 als Sänger in der Waldstr. 40 c; als Gesangspädagoge: 1906 in der Mathystr. 10, 1907-1910 in der Putlitzstr. 24. 1905-30.11.1924 als Gesangspädagoge in München, auch Hofoper (1911: Elisabethstr. 19, München). Seit 01.12.1924 Gesangslehrer in Berlin. 01.11.1926-30.09.1932 Gesangsprofessor an der Hochschule für Musik Berlin. 24.09.1929 verpflichtet ans Staatstheater Berlin. 1933 emigriert nach New York, USA. 1935: verh. mit Elisabeth Stückgold († 03.03.1961). 13.01.-20.01.1937 Reise mit dem Schiff "Barengaria" von Southampton, England nach New York; Nationalität: deutsch, polnisch("?"); Beruf: Professor; verh.; Visum Nr. SEC.5 QIV.1332, ausgestellt am 08.01.1937 in Berlin; letzter Wohnort: Berlin; zus. mit Tochter Eva (Sprachen: Französisch, Englisch; Visum Nr. SEC.5 QIV.1333, ausgestellt am 08.01.1937 in Berlin; letzter Wohnort: Berlin); Name eines Freundes: Felix Goulet. Seit 1937 Professor of Voice Culture am City College New York. Schüler von: Giustanini (Warschau), Ottavio Nouvelli (Warschau), Leonesi (Mailand), Alessandro Bonci (Italien), Felice Coen (Venedig, Konservatorium Pesaro). Lehrer von: A. Balarini, Hr. Ballhausen, Alfred Bartolizius, Hr. Bielina, Frau Burkhardt, Frau Cobelli, Marcella Craft (Koloratur am Münchener Hoftheater), Herr Domgraf-Faßbender, Zdenka Faßbender (am Münchener Hoftheater), Anneliese Händel, Pal Komaromy, Anny Konetzni, Paquita Lorenz, Walther Ludwig, Edit Maerker, Hr. Malisch, Zdinka Milanov, Hr. Oevregaard, Frl. v. Otto, Hr. Rusnak (Tenor), Frau Sadowen, Maria Stephanowa, Frau Sterk, Hr. Strack, Grete Stückgold (*Schneidt), Hans Tänzler, Marcell Wittrisch, Erika Zwanzig (*Krebs). Sprachen: Polnisch, Englisch. Werke: Der Bankrott der deutschen Gesangskunst; Über Stimmbildungskunst; wissenschaftliche Abhandlungen.

 

Süssmilch, Holm Die lateinische Vagantenpoesie des 12. und 13. Jahrhunderts als Kulturerscheinung, Inaugural-Dissertation, Leipzig 1917.

 

www.maxhoerberg.de